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SONNTAGS um zehn: Classic-Open-Air-Gebet

Warum ein Gottesdienst am Gendarmenmarkt umzog.

Kurz vor 15 Uhr kommen Männer und Frauen vor den Deutschen Dom auf dem Gendarmenmarkt zusammen und wollen für den Frieden beten. Doch in diesem Moment beginnen vor dem Konzerthaus nebenan die Orchesterproben für „Classic Open Air“ mit einem kräftigen Marsch. Also schnell rübergelaufen zum Hausvogteiplatz. Dort entfalten die spirituellen Friedensstifter vor dem Brunnen ihr Plakat „Interreligiöses Friedensgebet – betend den Mut haben zu sprechen“. Dann stellen sie sich im Halbkreis auf und fangen an zu beten - öffentlich und mittendrin im säkularen Berlin. Touristen schauen verdutzt, Radfahrer bleiben stehen und hören zu. Los geht es mit einer einfachen Melodie, in die jeder einstimmen kann: „Schalom, schalom…“

Im Mai 2002 haben sie sich zum ersten Mal auf dem Gendarmenmarkt zum „Interreligiösen Friedensgebet“ getroffen. Christen, Muslime und Juden waren dabei, Hindu und Buddhisten und solche, die an keinen Gott glauben, aber dennoch überzeugt sind, dass Beten hilft. Der 11. September war noch nicht lange her, US-Präsident Georg W. Bush warb in Berlin für den Einmarsch im Irak – begleitet von Friedensdemonstrationen. „Als die USA im Irak einmarschiert sind, konnten wir erst recht nicht einfach aufhören mit dem Beten“, sagt der Jesuit Christian Herwartz, der zu den Begründern der Initiative gehört. Und so machten sie weiter. Dem Missbrauch von Religionen für gewaltsame Zwecke und einem Denken in Kategorien von militärischer Stärke und ökonomischer Überlegenheit setzen sie das Gebet für Frieden und Gerechtigkeit entgegen.

„Das im Völkerrecht verankerte Konzept der „Verpflichtung zum Schutz“ (responsibility to protect) in kriegerischen Auseinandersetzungen und bei drohendem Völkermord ist eine Grundlage unseres heutigen Gebetsanliegens“, liest Christian Herwartz jetzt von einem Flugblatt ab, das er zuvor verteilt hat. Der Mann neben ihm betont, dass dieser Schutz nicht durch militärische Mittel erreicht werden könne. „Wir beten dafür, dass jeder Mensch ein Verantwortungsgefühl für sein Lebensumfeld entwickelt“, sagt sein Nachbar Dhiraj Roy, ein Hindu. „Wir beten für die Überwindung von Angst“, stimmt ein Muslim mit ein.

Sie treffen sich immer am ersten Sonntag im Monat. Manchmal kommen 30, 40 Menschen. an diesem Sonntag sind es ein gutes Dutzend. Jeder ist eingeladen, ein persönliches Gebet zu sprechen über das, was ihm auf dem Herzen liegt.

Die „responsibilty to protect“ sei eine Farce, sagt jetzt eine Frau und berichtet von Waffenlieferungen der Bundesrepublik an Indonesien. Sie glaubt, mit den Waffen soll auch die indigene Bevölkerung unter Druck gesetzt werden. „Ich möchte mit euch dafür beten, dass die indonesische Regierung begreift, dass sie auch Verantwortung für die indigene Bevölkerung hat“. Andere Gebete richten sich gegen die Privatisierung von Wasser, es geht um die Opfer von Naturkatastrophen und menschlicher Brutalität. Sie singen „Sanftmut den Männern, Großmut den Frauen“, stimmen das Hare-Krishna an und beten dafür, Gott möge sie zu Werkzeugen des Friedens machen. Eine Stunde ist schnell um. Claudia Keller

Informationen unter

www.friedensgebet-berlin.de

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