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SONNTAGS um zehn: Die Bibel als Maßstab fürs Leben

Christoph Markschies erinnert in St. Annen an Helmut Gollwitzer

In Dahlem, wo Berlin gediegen dörflich wird, steht eine kleine Kirche mit großer Tradition: St. Annen in der Königin- Luise-Straße. Hier predigte Martin Nie möller gegen den Terror der Nazis an. Nach seiner Verhaftung predigte Helmut Gollwitzer weiter. Dieser blieb auch nach dem Krieg ein unbequemer Mann. Er kämpfte gegen die Wiederaufrüstung und stand der Studentenbewegung nahe. Im Dezember wäre Gollwitzer 100 Jahre alt geworden. Gestern gedachte die Annen- Gemeinde ihres großen Vorbildes.

Hier in Dahlem ist die Erinnerung an Gollwitzer lebendig. Jemand hat eine rote Rose dessen schneebedecktes Grab vor der Kirche gelegt. Eine halbe Stunde vor dem Gottesdienst war kaum noch ein Platz frei in der Dorfkirche. Und kurz bevor es losging, huschten noch Bundespräsident Horst Köhler und seine Frau Eva Luise den Gang entlang, schüttelten ein paar Hände und ließen sich inmitten der Gemeinde nieder.

Christoph Markschies leitete den Gottesdienst. Der Kirchenhistoriker, Präsident der Humboldt-Universität und einer der möglichen Nachfolger von Landesbischof Huber, ist selbst ein Kind Dahlems. 1968 wurde er in St. Annen konfirmiert und kann sich gut an Gollwitzer erinnern. Dessen wichtigster Grundsatz im Gottesdienst wie im Leben sei gewesen: Halte dich ans Evangelium! So sei Gollwitzer auch nie vom kirchlich vorgegebenen Predigttext für den jeweiligen Sonntag abgewichen. Auch nicht im Oktober 1977 am Sonntag nach der Befreiung der Geiseln in Mogadischu und den Selbstmorden in Stammheim. Ein Jahr zuvor hatte er Ulrike Meinhof in Berlin beigesetzt, deren Seelsorger er war.

Und anstatt über Gollwitzer zu philosophieren, hielt sich auch Markschies an den für den ersten Sonntag nach Epiphanias vorgegeben Bibeltext, der von Jesu Taufe erzählt. Wie Johannes der Täufer zunächst zurückzuckte vor dem prominenten Mann, der sich in die Schlange der Täuflinge eingereiht hatte. Jesus ist doch Gottes Sohn! Er könne doch nicht Gottes Sohn taufen. Aber Jesus sagte: „Lasst es jetzt geschehen, denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“

Jesus stehe trotz seines besonderen Status’ mitten im Volk Israel, mitten unter anderen Juden, sagte Markschies. Dass Jesus als Jude wahrgenommen wird, dafür habe auch Gollwitzer gekämpft, und, gegen die Antijudaisten in den Reihen der Kirchen, dafür, dass Juden und Christen ein freundschaftliches Verhältnis finden. Warum sich Jesus taufen lässt? Weil es sich so „gebührt“, steht in der Bibel. Weil es der Gehorsam gegenüber Gott verlange. Der Gehorsam gegenüber Gott unterscheide sich vom Gehorsam gegenüber Menschen und mache frei. Auch davon war Gollwitzer überzeugt.

Markschies schlug gekonnt einen Bogen von der Bibel zu Gollwitzer. Und doch fehlte etwas: der Bogen zur Gegenwart, zum Krieg in Gaza, gerade wenn es um Jesus als Sohn Israels geht. Sicher, es ist nicht einfach, als deutscher Theologe etwas Kluges zum Nahostkonflikt zu sagen. Aber von Gollwitzer lernen, heißt eben auch, sich nicht vor Schwierigem zu drücken. Gerade, wenn man vielleicht in ein paar Monaten Bischof werden möchte.Claudia Keller

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