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SONNTAGS um zehn: Geist und Materie

Bei „Christi Wissenschaft“ in der Wilhelmsaue

Da war die Sache mit dem kranken Zahn. Sie habe so Angst vor dem Zahnarzt gehabt, erzählt die ältere Frau nach dem Gottesdienst. Am Abend vor dem Zahnarztbesuch habe sie sich gedacht, dass Gott die Menschen nicht mit Löchern in den Zähnen geschaffen habe, sondern als gesunde Wesen. Am nächsten Morgen sei ihr Zahn heil gewesen. Offenbar habe sich das Bild des gesunden Zahns so stark eingeprägt, dass es das Bild vom kranken Zahn ersetzt habe, sagt die Frau. „Die Materie ist nur ein Bild, das man von etwas hat.“ Oder, um Karl Marx’ Einsicht umzukehren: Das Bewusstsein ändert das Sein.

Solche Selbstheilungsgeschichten hört man viele, wenn man mit Mitgliedern der „Ersten Kirche Christi Wissenschaftler“ spricht. Sie glauben daran, dass Krankheiten äußere Zeichen seien, die darauf hindeuten, dass mit diesem inneren geistigen Sein etwas nicht stimme. Anstatt zum Arzt zu gehen, empfehlen Christi Wissenschaftler mit Gebeten das Denken zu verändern. „Aber wir verbieten niemandem, zum Arzt zu gehen“, sagt ein älterer Herr. Das müsse jeder mit sich selbst ausmachen. Für Außenstehende klingen solche Sätze merkwürdig. Aber wer weiß schon, was zwischen Himmel und Erde möglich ist? Die „Christliche Wissenschaft“ unterhält in Berlin vier Kirchen und hat in Deutschland schätzungsweise 2000 Mitglieder. Sie wurde 1879 von Mary Baker Eddy in Boston begründet. Eddy hatte nach einem schweren Unfall intensiv die Bibel gelesen und war geheilt worden.

Am Sonntag kamen gut drei Dutzend Menschen zum Gottesdienst in die Wilmersdorfer Wilhelmsaue. Sie verloren sich in dem gewaltigen Kirchenschiff, das der Architekt Otto Bartning Mitte der 30er Jahre gebaut hatte. Es wurde gesungen, eine Version des Vaterunser gebetet, in dem Gott als „Unser Vater-Mutter“ angesprochen wurde. Zwei Frauen traten an Lesepulte. Einen Altar gibt es bei Christi Wissenschaftler genauso wenig wie Kerzen, Kreuze oder Pfarrer. Es ist eine reine von Laien geführte Gemeinschaft. Die beiden Frauen lasen abwechselnd Zitate aus der Bibel und aus Eddys Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit“ vor. Die meisten Zuhörer folgten mit geschlossenen Augen. Am Ende gab es Vertrautes: „Freude schöner Götterfunken“ von Ludwig van Beethoven – allerdings mit den Liedzeilen „Vater voller Liebe, Du allein bist gut und gnädig“. Die Materie ist ein sterblicher Irrtum, hatte es zuvor geheißen. Der Mensch aber ist geistig und ewig. Claudia Keller

www.christian-science.de

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