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SONNTAGS um zehn: Gottesdienst zur Bundestagswahl in der Matthäuskirche Steglitz, Schloßstr. 44

„Na, na“, murmelt ein Banknachbar skeptisch vor sich hin, als Predigerin Anja Siebert die Bundestagswahl von der Kanzel „das Hochamt der Demokratie“ nennt. Am Ende von „Jede Stimme zählt“, wie die Vikarin ihren Gottesdienst am Wahlsonntag in der Matthäuskirche gegenüber vom Steglitzer Kreisel genannt hat, ist diese erst mal reichlich vollmundig rüberkommende Bezeichnung dann plötzlich plausibel geworden.

„Na, na“, murmelt ein Banknachbar skeptisch vor sich hin, als Predigerin Anja Siebert die Bundestagswahl von der Kanzel „das Hochamt der Demokratie“ nennt. Am Ende von „Jede Stimme zählt“, wie die Vikarin ihren Gottesdienst am Wahlsonntag in der Matthäuskirche gegenüber vom Steglitzer Kreisel genannt hat, ist diese erst mal reichlich vollmundig rüberkommende Bezeichnung dann plötzlich plausibel geworden.

Nichts demonstriert den Wert freier, demokratischer Wahlen schließlich besser als die Tatsache, dass sie keineswegs selbstverständlich sind. Dafür stehen die Gottesdienstgäste der 34-jährigen angehenden Pastorin, die Amnesty-International-Gruppe Spandau.

Schon auf dem Kirchhof des imposanten Backsteinbaus, wo in der Morgensonne Steglitzer im Joggingdress, mit Rollator oder Kinderwagen ins Wahllokal im Gemeindehaus strömen, kommen weder sie noch die Kirchgänger am Infotisch der Menschenrechtsaktivisten vorbei. Und aus dem Liederblatt des Gottesdienstes fällt einem eine Petitions-Postkarte von Amnesty entgegen.

Was es damit auf sich hat, erzählt eine der Spandauerinnen im Gottesdienst, der mit allerlei aufklärerischen Liedtexten und munteren Orgelrhythmen sichtlich heutig aufgezogen ist. Birtukan Mideksa, die Frau auf der Postkarte, sitzt in Äthiopien in Isolationshaft, wurde gefoltert und zu lebenslanger Haft verurteilt, nur weil sie nach der Wahl 2005 mit anderen Oppositionellen friedlich gegen mögliche Wahlfälschungen protestiert hat. „Lebenslänglich – für eine Demonstration!“, sagt die Frau von Amnesty und prompt ist man dankbar und glücklich, deutsche Staatsbürgerin zu sein. Genau wie ein paar Minuten vorher, als der türkische, in Berlin lebende Journalist Mehmet Bakir mit leiser Stimme die Leidensgeschichte seiner widerrechtlichen Haft in der Türkei erzählt, gegen die Amnesty ebenfalls kämpfte.

Überall in der Welt nehmen Menschen für ein freies Wahlrecht Folter und Tod auf sich, sagt Anja Siebert, die bei der Konrad-Adenauer-Stiftung Politiker in Ethik- und Religionsfragen berät, denn auch in ihrer erfrischend direkten Predigt: „Und wir hier haben alle Freiheiten und meckern lieber über Politiker statt unsere Faulheit zu überwinden und selbst was aus der Freiheit zu machen.“ Christen lebten schließlich in Jesu Auftrag, Licht und Salz der Erde zu sein. „Deine Stimme zählt“, wendet sie sich an die Kirchgänger, „und das macht aus einem unspektakulären Wahllokal wie nebenan im Gemeindehaus einen äußerst prachtvollen Ort für das Hochamt der Demokratie.“ Gunda Bartels

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