zum Hauptinhalt

Berlin: Sonntags um Zehn: Hoffen, kämpfen, loslassen

"Lieber Gott, ich bitte dich das Ergebnis meiner Analyze von Haut wird gut sein", hat eine Frau am 13. August ungelenk in ein Buch geschrieben, das in der Kapelle des Sankt Gertrauden-Krankenhauses ausliegt.

"Lieber Gott, ich bitte dich das Ergebnis meiner Analyze von Haut wird gut sein", hat eine Frau am 13. August ungelenk in ein Buch geschrieben, das in der Kapelle des Sankt Gertrauden-Krankenhauses ausliegt. Patienten und Besucher können darin ihre Wünsche und Ängste eintragen, damit die frommen Schwestern diese in ihre Fürbitten aufnehmen. Eine Besucherin bittet um Kraft, den Tod ihres Mannes zu ertragen, eine, dass der Bruder gesund werde. In arabischen Schriftzeichen und vielen Sprachen dieser Welt melden sich hier Menschen schriftlich bei Gott.

Aber auch persönlich melden sie sich, um dessen Wort zu hören. Eine kleine Gemeinde hat sich gestern dazu in der Kapelle versammelt, in der es nach Krankenhaus riecht. Im Mittelgang sitzt ein junger Mann im Rollstuhl. Eine Frau kommt im Bademantel, um den Kopf hat sie ein Tuch gewickelt. Durch die farbigen Kapellenfenster, die die Heilige Gertrud und die Heilige Katharina von Alexandrien als Patroninnen des Krankenhauses und der darin tätigen Katharinenschwestern zeigen, fällt freundliches Licht in den tröstlichen Ort, den sich der katholische und der evangelische Seelsorger teilen. Das Herz Jesu, dem die Kapelle geweiht ist, bestimmt das große Mosaikbild hinter dem Altar, auf dem der evangelische Pfarrer Klaus Harzmann-Henneberg jetzt seine Zuhörer begrüßt - nicht nur die wenigen in den Bänken vor ihm, sondern vor allem die zahlreichen, die oben in den Krankenzimmern über den hauseigenen Fernsehkanal seinem Wort lauschen. Auch dem Gesang - "die güldene Sonne bringt Leben und Wonne, die Finsternis weicht" singen die Gottesdienstbesucher. "Du bist doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil", stellt der Pfarrer den Psalm 73 seiner Predigt voran, in der er die Frage nach dem Himmelreich stellt. Zum Gleichnis aus dem Matthäus-Evangelium erzählt er die Geschichte eines Mannes, der in unserer Gegenwart zu den rundrum Erfolgreichen zählt - zu einem, über den man sagt: Der hat es gut. Warum so einer plötzlich alles Bisherige los lässt, nur um ein einziges Neues zu erlangen, das vergleicht der Pfarrer mit dem Streben nach dem Himmelreich. Gott sage zu uns Ja bei der Taufe und wende sich uns vollkommen zu. Aber das verlange er auch von uns - ohne Ausflüchte alles loszulassen, sich ihm ganz zuzuwenden. Gerade hier im Krankenhaus, wo man das Gefühl bekomme, nicht mehr selbst über sich zu bestimmen. Über das, was vorher zu einem gehörte, Gesundheit und die Seele. Da sortiere sich oft neu, was wichtig ist im Leben, trenne sich die Spreu vom Weizen.

Die eigenen Gedanken schweifen an dieser Stelle der Predigt ab zu einer Kranken auf einer der Stationen. Für die nächste "Jedermann"-Premiere im Herbst wird sie diesmal nicht wie in all den Jahren zuvor nächtelang Theaterkostüme nähen können. Aber in den vergangenen Wochen habe sie die Angst vor der Endgültigkeit ihrer heimtückischen Krankheit verloren, erzählten Freunde über die Kranke. Was der Pfarrer gestern im Gottesdienst vom Loslassen sagt, hat sie schon verinnerlicht. Ihre schöne Altbauwohnung in Schöneberg lässt sie gerade auflösen, und die geliebte Katze hat sie weggegeben. Eine Sonnenblume soll sie nach dem Gottesdienst bekommen.

Jetzt spricht Klaus Harzmann-Henneberg vom Mut zur Veränderung. Wer auf der Suche ist, der findet die Kraft, wegzugeben und neu anzufangen, sagt er und singt abschließend mit der Gemeinde ein Lied, das nach der Wende entstand. "Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist", heißt es darin und weiter: "Er selbst kommt uns entgegen, die Zukunft ist sein Land." Die Kranke auf der Station 34 kann nicht mehr gefragt werden, ob Gott ihr Kraft gibt. Die Theaterschneiderin Annemarie Oberrauner hat in der Nacht zuvor ganz losgelassen. Die Sonnenblume bleibt dort.

hema

Zur Startseite