zum Hauptinhalt

SONNTAGS um zehn: Kaffeetafel mit Evangelisten In der St.-Lukas-Kirche in Kreuzberg geht es nach der Predigt gemütlich zu

Der Prädikant möchte doch lieber einen Tee. Etwas still balanciert der schmale Mann auf der Stuhlkante, während die anderen Leute an der Kaffeetafel fröhlich miteinander plaudern.

Der Prädikant möchte doch lieber einen Tee. Etwas still balanciert der schmale Mann auf der Stuhlkante, während die anderen Leute an der Kaffeetafel fröhlich miteinander plaudern. Im „Gemeinde-Café“ der St.-Lukas-Kirche an der Bernburger Straße beim Anhalter Bahnhof in Kreuzberg kennen sich fast alle. Von der 94-Jährigen mit eleganter Frisur bis zum Mittfünfziger in schwarzer Motorrad-Lederweste. Schließlich trifft man sich zweimal im Monat wie an diesem Sonntag nach dem Gottesdienst – einmal bei Kaffee und Kuchen, ein zweites Mal zum Mittagessen.

Nur einer ist sonst nicht dabei: Prädikant Gerhard Denecke. Er hat an diesem Sonntag zuvor die Predigt gehalten, als Urlaubsvertretung für Stephan Seidel, den „Stadtmissionar“ – vor einem Jahr wurde die St.-Lukas-Kirche von der Stadtmission übernommen und ist nun eine von 20 Gemeinden in Berlin, die zu diesem freien Werk innerhalb der Evangelischen Kirche gehören. Auch Prädikant Denecke sieht sich als Missionar – er veranstaltet sonst türkisch-deutsche Gottesdienste in Wedding für Menschen, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind.

Eigentlich ist er Nähmaschinenmechaniker aus Sachsen, aber seitdem er eine Ausbildung bei der Landeskirche gemacht hat, darf er Predigten halten. Früher nannte man das Hilfsprediger. „Ich predige mal hier, mal da. Es war schön, heute in einer richtigen Gemeinde zu predigen, das gibt mir Übung“, sagt Denecke nach dem Gottesdienst und nippt am Tee.

Etwa 15 Gemeindemitglieder sitzen mit ihm am Tisch – genau die richtige Größe für eine Kaffeegesellschaft. „Wir sind nur selten mehr Leute“, sagt Ottmar Sliwka, einer der Gemeindeältesten. Im hellen Kirchenschiff wirkt diese Handvoll Gläubiger etwas verloren – ebenso wie Prädikant Denecke vorn im grauen Straßenanzug am Predigtpult. Eine Kanzel gibt es in der Kirche nicht, die mit finanzieller Unterstützung von Jacob Grimm, Theodor Mommsen, Adolph Menzel und Theodor Fontane errichtet, 1861 eingeweiht, 1945 fast ganz zerstört und 1954 kleiner und schlichter wieder aufgebaut wurde.

Von den Wänden blicken zwei riesige Evangelisten auf die Gemeinde herab: Matthäus und der Namensgeber der Kirche, Lukas, mit einem Modell des Gebäudes in der Hand. Beide wurden von dem Künstler Sigmund Hahn als „Sgraffito“ in den Putz geritzt. Gerhard Denecke predigt über den Brief des urchristlichen Missionars Paulus an die Epheser und sein eigenes Verhältnis zu Gott: „Es ist tatsächlich so, dass Gott mit uns reden will – es gibt eine ganze Menge Gesprächsbedarf.“ Er selbst führe solche Unterhaltungen oft beim Spazierengehen. Daniela Martens

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false