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SONNTAGS um zehn: Mit Hornbrille am Taufbecken

Von einem Gottesdienst, der nicht gelingen mag.

Heute ist das Tempelhofer Feld fünf Fahrradminuten entfernt, vor hundert Jahren lag es vor der Haustür. Die evangelische „Kirche auf dem Tempelhofer Feld“ am Wolffring, Ecke Boelckestraße heißt immer noch so. 1928 wurde sie eingeweiht als Teil der neuen „Gartenstadt“ in der südwestlichen Ecke des ehemaligen Feldes, auf dem werktags die Soldaten exerzierten und sonntags die Berliner die Picknickkörbe auspackten.

Der Rundbau mit seinen 30 Metern Durchmesser wirkt auch durch den ockerfarbenen Anstrich einladend hell und freundlich. Schade, dass sich an diesem Sonntag nur ein Dutzend Gemeindemitglieder auf den Weg zum Gottesdienst gemacht hat. Eine Taufgemeinschaft mit Paaren und kleinen Kindern bringt zwar junge Gesichter in die Kirche, doch den meisten scheint so ein Gottesdienst herzlich fremd zu sein. Kaum jemand betet oder singt mit. Dabei gibt sich der Kantor viel Mühe, wechselt von der Orgel auf der Empore zum Flügel neben dem Altar, intoniert Spirituals und spielt eingängige Lieder wie „Mein ist die Sonne, mein ist der Morgen“ nach der Melodie von „Morning has broken“. Leider traut sich auch Pfarrerin Birgit Gerritzmann nicht so richtig mitzuschmettern, obwohl sie mit ihrer kräftigen Hildegard-Knef-Stimme sicherlich Besucher mitreißen könnte. Sie tut ansonsten viel, um die Stimmung aufzulockern, lässt Mutter und Täufling gewähren beim Planschen am Taufbecken und unentwegten Herumspazieren am Altar. Das wiederum lässt angestammte Gemeindemitglieder die Stirn runzeln. So ruckelt der Gottesdienst voran.

Die Eltern haben für Hannah Alba Marlene den Taufspruch ausgesucht: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ Pfarrerin Gerritzmann verbindet ihn in der Predigt mit dem dreifachen Liebesgebot von Jesus: „Du sollst Gott und deinen nächsten lieben wie dich selbst.“ Darin seien alle zehn Gebote enthalten: Die ersten drei, in denen es um die Liebe zu Gott geht; die Gebote fünf bis zehn, die davor warnen, anderen Menschen zu schaden. Das vierte Gebot, den Sabbat einzuhalten, ziele auf die Liebe zu sich selbst. Jesus habe keine schwärmerische Liebe eingefordert, sondern, dass man sich an die Gebote hält. Mit dem Vertrauen auf Gott, der Kraft, Liebe und Besonnenheit schicke, könne dies gelingen.

Kurz vor Schluss findet die Gemeinde dann doch noch zusammen. Der Kantor spielt auf dem Flügel „Danke für diesen guten Morgen“ – und jetzt singen viele mit. Die Älteren inbrünstig, die jüngeren Väter und Mütter der Taufgesellschaft, die Bart- und Hornbrillenträger, mit ironischem Augenzwinkern. Claudia Keller

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