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SONNTAGS um zehn: Nicht alles ist zu rechtfertigen Ein Gleichnis und viele geflügelte Worte am Gendarmenmarkt

Am Sonntagvormittag ist es hier am Gendarmenmarkt noch still und beschaulich, die Touristen klopfen gerade ans Frühstücksei, wenn die Evangelische Kirchengemeinde in der Friedrichstadt zum Gottesdienst bittet. Die Glocken locken drei- mal: Stephan Frielinghaus hat an diesem 4.

Am Sonntagvormittag ist es hier am Gendarmenmarkt noch still und beschaulich, die Touristen klopfen gerade ans Frühstücksei, wenn die Evangelische Kirchengemeinde in der Friedrichstadt zum Gottesdienst bittet. Die Glocken locken drei- mal: Stephan Frielinghaus hat an diesem 4. Sonntag nach Trinitatis den seelsorgerischen Frühdienst, ihm folgt Meike Waechter an gleicher Stelle in der Französischen Friedrichstadtkirche, wo sich um elf die Hugenottengemeinde trifft, und wer es Französisch mag, der geht in den Casalis-Saal – Gottesdienst en francais.

Zwei Kerzen brennen auf dem Altar, keine Spur mehr vom Konzert des Mozart-Ensembles am Abend zuvor; überhaupt ist der halbrunde Kirchensaal mit seiner Eule-Orgel so etwas wie ein kleines Konzerthaus neben dem großen Schauspielhaus: Die Friedrichstadtgemeinde sieht es gern, dass in ihrer Kirche an der Westseite vom Französischen Dom Trompeten erschallen und den Touristen mittags bei der Orgelandacht von Kirchenmusikdirektor Kilian Nauhaus zwanzig besinnliche Minuten geschenkt werden. Auch gestern Vormittag war so ein Moment des Innehaltens und Nachdenkens über einen Bibeltext, der wie ein Kriminalfall in der Wüste beginnt und am Hofe eines mächtigen Pharao in Ägypten endet. Stephan Frielinghaus zitiert aus dem letzten Kapitel des ersten Buchs Mose, es geht um Joseph und seine Brüder, die ihn verraten und verkaufen und viele Jahre später jammernd vor ihm stehen. Joseph hat Karriere gemacht, ist ein großer Mann bei Hofe, die Nummer zwei nach dem Pharao, ein Traumdeuter, der die sieben fetten und die sieben mageren Jahre vorhersagt. Und nun soll er seinen Brüdern deren „erbärmliche Kleingeistigkeit“ verzeihen? Ja, er tut das, „er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen“. Es geht um Vergebenkönnen und Verzeihen, um Barmherzigkeit. Aber der Pfarrer warnt: Nicht immer lässt Gott aus Bösem, das Menschen anrichten, schließlich Gutes erwachsen. Wäre es so, könnte man bequem auch Kriege und andere Verbrechen rechtfertigen. Und er zitiert das Lukas-Evangelium: „Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebet, so wird euch vergeben. Gebet, so wird euch gegeben.“ Und dann die Quintessenz eines Gleichnis’: „Was siehest du aber einen Splitter in deines Bruders Auge, und des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr?“

Es sind so viele geflügelte Worte an diesem Vormittag, wir konnten ihn nicht besser verbringen als da, wo uns der Apostel Paulus rät: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz des Herrn erfüllen.“Lothar Heinke

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