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Drinnen und draußen. Rund um die Sophienkirche wurde gefeiert.

© Thilo Rückeis

Sonntags um zehn: Zeit des Lichts

Eine traurige Königin gab ihr den Namen, sie hat die Napoleonischen Kriege und zwei Weltkriege überstanden, ihre Gemäuer erzählen von Hoffnungen und Trauer, von Ängsten und Wünschen vieler Generationen. Am Sonntag feierte die Sophiengemeinde in der Großen Hamburger Straße in Mitte den 300. Geburtstag ihrer Kirche.

Vor dem 300. Geburtstag der Sophienkirche stöberten Gemeindemitglieder und Pfarrer in Archiven, auf Dachböden und im Kirchenkeller. Sie fanden nicht nur vergilbte Schriften und alte Abendmahlskelche. Sie entdeckten auch ein eineinhalb Meter großes Gipsmedaillon von Königin Sophie Luise, die die Errichtung des protestantischen Gotteshauses in der Spandauer Vorstadt von ihrem privaten Geld finanziert hatte. Gemeindemitglied Wilhelm Rissmann spürte sogar ein Gemälde der Stifterin auf, das seit der Einweihung der Kirche 1713 dort einen Platz hatte und verschollen war. Beim Festgottesdienst am Sonntag wurde es wieder am alten Platz aufgehängt.

Das Bild zeigt eine schöne junge Frau. Im Volksmund hieß sie „Venus von Schwerin“, erzählt Rissmann. Bevor sie verheiratet wurde und dritte Gattin des ältlichen Königs Friedrich I. in Preußen wurde, lebte Sophie Luise als Prinzessin im Schweriner Schloss. Nach der Heirat wurde aus der Venus ein trauriger Schwan. Vor lauter Unglück und Einsamkeit steigerte sich die Königin in Frömmelei und starb mit 50 Jahren. Auf Friedrich I. folgte „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. Ihn interessierten an Kirchen vor allem die Türme, die Ordnung in die Stadt bringen sollten. Der unter seiner Regentschaft errichtete Turm der Kirche ist bis heute weithin sichtbar.

„Viel wichtiger als die Baugeschichte ist die Geschichte der Menschen, die hier lebten und ihre Hoffnungen, Ängste und Wünsche in die Kirche trugen“, sagte Pfarrerin Christina Bammel, die fröhlich, gelassen und bestimmt die Fäden der vielen Aktivitäten rund um den 300. Geburtstag am Wochenende zusammenhielt. Zum Predigen kam am Sonntag die Berliner Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein in den Festgottesdienst. Sie erinnerte an die „Zeiten des Lichts“, als Kinder getauft und Hochzeiten gefeiert wurden. Als die Protestanten mit den jüdischen Nachbarn und mit den katholischen Schwestern vom St.-Hedwigs-Krankenhaus gegenüber so gut zusammenlebten, dass manche von der Großen Hamburger Straße als der „Straße der Toleranz“ sprachen.

Die jüdische Gemeinde nebenan hatte ein Stück ihres Friedhofs abgegeben, damit die neue Sophienkirche gebaut werden konnte. Doch an das Versprechen, dass man sich gegenseitig helfen wolle, mochten sich viele Mitglieder der Sophiengemeinde nach 1933 nicht erinnern. Sie sahen zu, wie Synagogen angesteckt und die jüdischen Nachbarn nebenan im Sammellager eingepfercht und deportiert wurden. Es gab auch welche, die halfen, die Gemeinde war tief gespalten. Die Pfarrer gehörten teils zur Bekennenden Kirche, die den Widerstand gegen Hitler unterstützte, und teils zu den Nazi-treuen Deutschen Christen.

„Wenn die Mauern sprechen könnten, würden sie auch von Hoffnung und Aufbrüchen erzählen“, sagte Trautwein. „Eine Kirche ist kein heiliger Orte, weil wir Gott darin einschließen können, sondern weil Gott die Menschen heiligt.“ Und zwar alle. „Ich sehe auf den Elenden und auf den, der zerbrochnen Geistes ist und der erzittert vor meinem Wort“, zitierte Trautwein aus der Bibel. „ Gerade in Berlin, wo der Erfolg so sehr zählt“, sei es wichtig, auch die nicht aus dem Blick zu verlieren, die sich mit dem Leben schwertun. „Sich hinter Kirchenmauern zu verschanzen, ist der falsche Weg“, sagte Trautwein und appellierte an die Gemeinde, sich einzumischen im Kiez und sich gegen Engherzigkeit zu wehren.

Auch innerhalb der Sophiengemeinde war es in den vergangenen Jahren nicht immer einfach, sagte ein Gemeindemitglied später im Kirchhof bei Kaffee und Kuchen. Der 300. Geburtstag habe wie ein kleines Pfingstwunder gewirkt. Bei der Vorbereitung hätten viele Alteingesessene von ihrer Konfirmation vor 60 Jahren erzählt oder von der Hochzeit vor 40 Jahren. Die Neuzugezogenen stöberten in den Archiven und trugen so ihren Teil zur Geschichte bei. Die unglückliche Königin Sophie Luise hat also doch noch einmal Glück gestiftet.

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