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Himmliche Töne. Der Posaunenchor spielte am neuen Grab der Ölberg-Gemeinde.

© ari

SONNTAGS um zehn: Zum Totensonntag: Es geht um die Lebenden

"Lass die Toten ihre Toten begraben!", sagte Jesus. Über seine harsche Worte und einen Gottesdienst mit Grabbesuch auf dem Luisenstädtischen Friedhof.

Am Ende gehen sie dann zu dem Grab, um das sie hart gekämpft haben. Eine Ruhestätte für die Mittellosen, die sonst per Amtsverfügung am Stadtrand beigesetzt würden. Wo sie doch in Kreuzberg gelebt hatten!

Das hat Pfarrer Jörg Machel immer gestört, und als er dann eine efeuüberwucherte, aufgegebene Erbgrabstätte mit backsteinerner Wand und Türmchen drauf auf dem Luisenstädtischen Friedhof am Südstern entdeckte, mobilisierte er seine Ölberg-Gemeinde und sie sammelten und restaurierten das Grab mit Platz für 40 Urnen. „Das freut mich wahnsinnig“, sagt Machel, und erzählt zum ersten Toten, der dort bereits liegt, eine Geschichte, denn nur Geschichten würden die Toten vorm Vergessenwerden bewahren. Hans-Günther Ring also, Sänger im Gemeindechor, ein Junkie, der spät zu Gott fand und damit auch seinen Frieden. Dann bläst der Posaunenchor in die Instrumente, so dass auch viele andere, die an diesem Ewigkeitssonntag Gräber besuchen, aufmerken und herbeikommen.

Zuvor in der Predigt in der hellen Kapelle, in der die Stühle für den Andrang nicht reichten, hatte Machel noch ganz anders geklungen. Da hatte er sich die „harsche Abfuhr“ vorgenommen, die Jesus jenen erteilte, die ihm zu folgen versprachen, sich aber erbaten, zuvor noch den Vater zu begraben beziehungsweise Abschied von der Familien zu nehmen. Das verweigerte Jesus und sagte dem einen: „Lass’ die Toten ihre Toten begraben“, und dem anderen: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes.“ Was für Antworten!

Machel erklärt sie mit der „merkwürdigen Vorstellung, dass die Welt ein Ende haben wird“. Dieses eingepreist ins Denken lasse das allgegenwärtige Streben nach Zukunftssicherung „lächerlich“ wirken. Ein Mensch hat maximal 120 Jahre zu leben, eine vergleichsweise winzige Zeitspanne, soll er sie nutzen.

Jesus habe radikal gedacht. Ihm habe vorgeschwebt, dass man das „gefürchtete Ende der eigenen Existenz verknüpft mit dem Ende der Welt“, sagt Machel. Deshalb habe Jesus ausbrechen wollen aus Strukturen, die das Tote ehren und darüber die Lebenden vernachlässigen. Er wollte nicht, dass die Menschen auf Zukunft setzen, sie sollten auf die Liebe setzen. Die Liebe im Jetzt.

Machel spricht eindringlich, seine Botschaft ist klar. Und wie passt sie zur Kapelle, zum Friedhof, zum Spendensammeln für die Grabstätten der Mittellosen? „Wir halten uns nicht daran“, sagt er, als ahnte er die Fragen, „deshalb sind wir hier.“ Dennoch: Er führe viele Trauergespräche, sagt Machel, und höre oft Bedauern über Nicht-Gesagtes, Nicht-Getanes. Das sei es doch. Den Ewigkeitssonntag solle man nutzen zum Andenken an die Toten, ja, aber mehr noch gehe es um „die, mit denen wir leben“. Dann bittet er die Gemeinde mitzukommen zu dem neuen Grab und leitet sie hinaus in den plötzlich kalt gewordenen November.

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