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Berlin: Sozialarbeiterin mit Stadtplan

Ein Jahr im Amt: Senatorin Ingeborg Junge-Reyer löst beharrlich die Probleme, die ihr Vorgänger hinterließ

Es waren viele Vorschusslorbeeren, mit denen sie an den Start ging. So viele, dass es ihr ein bisschen unheimlich war. Die SPD-Genossen lobten ihren Fleiß, ihre Kollegialität und ihren Sachverstand. Die Opposition würdigte ihre unaufgeregte Art und ihre Kompetenz. Ein Jahr ist Ingeborg Junge-Reyer (SPD) morgen im Amt. Am 29. April 2004 hat sie von Peter Strieder die Stadtentwicklungsverwaltung übernommen, nachdem er im Zuge der Tempodrom-Affäre zurückgetreten war.

Ein Mammutressort: 2378 Mitarbeiter, unterschiedliche Themenbereiche, von Bauen, Verkehr über Umwelt, Technik und Forsten bis zum Denkmalschutz. Hat sie das alles im Griff? Sie hat, sagen diejenigen, die es wissen müssen, auch wenn sie in den einzelnen Bereichen unterschiedlich starkes Engagement an den Tag legt. Ein Jahr nach Amtsantritt ist einmal mehr klar, wo Ingeborg Junge-Reyer ihre Stärken und ihre Wurzeln hat: in der Sozialpolitik.

Sie besuchte Quartiersmanagementgebiete und tat das auch mal, ohne die Presse dazu einzuladen. Das war, Jahre nach der Hoppla-jetzt-komm-ich-Art des Peter Strieder, mal etwas Neues. Das hat sich bewährt. Die Anwohnerinitiativen und Sozialarbeiter in den sozialen Brennpunkten fühlen sich mit ihren Anliegen bei Ingeborg Junge-Reyer gut aufgehoben. Ein Grund dafür, dass sie, Umfragen zufolge, mittlerweile zu den beliebtesten Landespolitikern gehört.

Aber sie ist auch eine der weniger bekannten Größen im Senat. Vielleicht liegt es daran, dass es nur noch wenige Claims abzustecken gibt im Bereich der Stadtentwicklung. Der Masterplan für die Innenstadt, mit der Handschrift des Senatsbaudirektors Stimmann, war lange vor ihrem Amtsantritt fertig. Auch beim umstrittenen Plan für das Kulturforum, den sie am Dienstag vorstellte, ließ sie ihrem Staatssekretär weitgehend freie Hand. Dass nicht jeder Wähler ihren Namen mit einem Senatsressort zuordnen kann, liegt vielleicht auch daran, dass Ingeborg Junge-Reyer sich nicht ständig in den Vordergrund drängt. Etwa bei der Vorstellung des Modells für den Neubau des Bundesnachrichtendienstes: Ihr Willkommen hat sie für ihre Verhältnisse so betont wie möglich ausgesprochen, aber ein Strieder hätte, ganz sicher, diesen Auftritt für sich ganz anders genutzt.

Gestritten wird in ihrem Ressort derzeit nur in Sachen Umwelt. Beispiel Feinstaub: Erst hat sie Fahrverbote abgelehnt, dann doch angeordnet. In der Stadtentwicklungspolitik fürchtet sie keine Debatte, aber es ist bislang auch keine aufgekommen. Weil sie eher im Sinne städtebaulicher Vernunft entscheidet und es tunlichst vermeidet, sich öffentlich zu früh persönlich festzulegen. Ersteres bringt ihr Sympathien von allen Seiten, letzteres macht der Opposition zu schaffen, denn so bietet die Senatorin wenig Angriffsfläche. Wenn sie etwas nicht weiß, scheut sie sich nicht, das auch zu sagen. „Bevor ich was Falsches sage, schaue ich lieber nach und melde ich mich nochmal“, sagt sie dann.

Und sie sagt Nein, wenn es in ihren Augen keinen Sinn macht, an Luftschlössern festzuhalten. Strieders Umbau des Boulevards Unter den Linden hat sie als erstes gestoppt, weil die Finanzierung nicht klar war. Jetzt wird nur der Teil an der Staatsoper umgebaut. Bei der Topographie des Terrors hat sie die Reißleine gezogen und konsequenterweise gleich dem Bundeskanzleramt die Regie überlassen. Auch das Baurecht auf dem Teufelsberg wollte sie nicht verlängern. Stattdessen sollen Bäume wachsen. Und am Alex dürfen die Investoren jetzt bauen, wann und wie hoch sie wollen. Die Strieder- Stimmannschen Daumenschrauben sind weg. Das fällt kaum auf, aber es befreit von künstlichen Zwängen und öffnet den Blick für neue Perspektiven. So, wie sie es sich gewünscht hat.

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