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Kreuzköllner Mix: Am Maybachufer lässt es sich leben. Wohnungen sind in der Gegend heiß begehrt – und werden immer teurer. Alteingesessene können sich die steigenden Mieten oft nicht mehr leisten.

© Caro / Muhs

Sozialgefüge: Ein verdrängtes Problem gefährdet die Berliner Mischung

Arm und Reich vereint in den Kiezen: Die seit über 100 Jahren bewährte Berliner Mischung ist bedroht. Die Politik lässt den Markt frei walten.

Rechts und links der Neuköllner Hobrechtstraße stehen die typischen Berliner Häuserzeilen aus der Gründerzeit: Stuck an den Fassaden, vier Etagen, teils ausgebaute Dachgeschosse. Hier wohnt es sich gut: Berlins beste Brezeln gibt es ein paar Straßen weiter, Karstadt am Hermannplatz ist nicht weit und die Hobrechtstraße reicht bis zu der Bar- und Restaurantmeile sowie den Liegewiesen am Maybachufer.

Deshalb sind Wohnungen in „Kreuzkölln“, wie das Gebiet an der Grenze der beiden Stadtteile genannt wird, auch so begehrt – und der Kiez ein gutes Beispiel für die „Gentrifizierung“. Damit wird der Wandel eines Viertels durch den Zuzug von Bewohnern mit besseren Einkommen beschrieben, der zur Folge hat, dass die Mieten steigen und Menschen mit geringeren Einkünften wegziehen, weil sie sich die Wohnungen nicht mehr leisten können, die dann aufwendig saniert werden. Modeboutiquen oder Designershops lösen „Rudis Resterampe“ ab. Am Ende der Entwicklung steht ein homogenes Viertel, durchsaniert, mit Biosupermarkt, Tiefgarage und Lofts, bewohnt von Rechtsanwälten, Regisseuren und Ministerialbeamten.

Statt diese Entwicklung ernst zu nehmen, sagen Kritiker, wiederhole die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung unermüdlich: In Berlin stünden über 100 000 Wohnungen leer. Und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) meint, es gebe kein Recht auf das Wohnen in der Innenstadt. Nur: Die Krawalle in London zeigen, so die Kritik weiter, dass die Trennung von reich und arm, Gymnasiast und Schulabbrecher, Erwerbstätigem und staatlich Unterstütztem das Gefühl der Ohnmacht verstärkt, bis es in Gewalt umschlägt. Trotzdem übe der Senat nicht einmal die „Belegungsrechte“ aus für die mit Milliardensubventionen geförderten Wohnungen. Das Problem werde verdrängt, statt ein Gesamtkonzept für landeseigene oder subventionierte Wohnungen zu entwickeln.

Für James Hobrecht, der als Stadtplaner den ersten großen Berliner Boom in der Gründerzeit steuern musste, wäre diese Entwicklung ein Graus gewesen. Hobrecht, selbst wohlhabender Sohn eines Gutsbesitzers, hatte als Student sein politisches Gewissen in der Märzrevolution von 1848 geschärft. Aus sozialen und pädagogischen Erwägungen erhob er etwa 40 Jahre später als Berliner Stadtbaurat die Bevölkerungsmischung in den Quartieren zum Grundsatz der Stadtplanung. Es wurde eine Erfolgsgeschichte, die erst durch die wohnungspolitische Konzeptlosigkeit der vergangenen Jahre eine unglückliche Wende zu nehmen droht.

Eine „Durchdringung“ der Mietskasernen forderte Hobrecht und die unterschiedlichen Preise von Wohnungen auf verschiedenen Etagen sollten sie möglich machen. Wer auf der Belle-Etage wohnen wollte, musste „500 Taler“ ausgeben, wer 200 Taler zahlen konnte, fand im zweiten Geschoss eine Wohnung, die im vierten nur 100 Taler mehr kostete. Auch Bedürftige hatten ihren Platz in der Mietskaserne: Im Keller, wo „mehrere Wohnungen à 50 Taler“ angeboten wurden.

„Wer kann seine Augen vor der Tatsache verschließen, dass die ärmere Klasse vieler Wohltaten verlustig geht, die ein Durcheinanderwohnen gewährt“, verteidigte Hobrecht das Berliner Modell gegen die stadtteilscharfe Trennung von Arm und Reich in London. Aus „sittlichen und staatlichen“ Gründen sei der Berliner Weg der richtige: „In der Mietskaserne gehen die Kinder aus den Kellerwohnungen in die Freischule über denselben Hausflur wie diejenigen (Kinder) des Rats oder Kaufmanns, auf dem Wege nach dem Gymnasium“.

Heute funktioniert dieses Modell immer noch in einigen Häusern der Kreuzköllner Hobrechtstraße. In einem Altbau wohnt die alleinstehende Fabrikarbeiterin mit türkischen Wurzeln unter einem Dach mit zwei Studenten-WGs und einer alleinerziehenden Verlagsmitarbeiterin. Doch auch hier stehen die Zeichen auf Wandel: Die Mieter zahlen dort 7,50 Euro je Quadratmeter und Monat, warm. Wer jetzt im Netz eine Wohnung in der Straße sucht, findet kaum etwas für weniger als zehn Euro, kalt. Stattdessen gibt es das 400 Quadratmeter große „Loft-Studio-Atelier“ für 4260 Euro, zuzüglich Nebenkosten.

Das ist Marktwirtschaft, könnte man sagen, privaten Vermietern kann man nichts vorschreiben. Doch das ist nicht ganz richtig: Denn in Berlin gibt es viele geförderte Wohnungen. Aber sie werden nicht eingesetzt, um die soziale Mischung zu bewahren.

Dabei hatte gerade der geförderte Wohnungsbau die soziale Mischung von Kreuzberg bis Schmargendorf ermöglicht. In der Kunostraße in Wilmersdorf etwa entstanden ganze Häuserblöcke mit Bewohnern unterschiedlich hoher Einkommen. Neben den Sozialwohnungen wurden im „zweiten Förderweg“ passgerechte Wohnungen für die untere Mittelschicht gebaut: mit höheren Mieten, die zudem schneller steigen durften. Auch nicht subventionierte Wohnungen entstanden: die zweigeschossige Maisonette mit privatem Gartenanteil im begrünten Hof und das Dachgeschoss mit großer Terrasse.

Förderungen gibt es in Berlin längst nicht mehr. Dafür aber landeseigene Baugrundstücke, an deren Verkauf Forderungen geknüpft werden können. Im Streit um das Bauland an der Invalidenstraße in Mitte forderte Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD), die Flächen müssten an Investoren gehen, die auf verschiedenen Etagen Wohnungen zu unterschiedlich hohen Mieten bauen. Und auch die Grünen wollen, dass die landeseigenen Gesellschaften gezielt Wohnungen an Haushalte mit geringen Einkommen geben, „nicht nur an Hartz-IV-Empfänger“, so Experte Andreas Otto. Auch das würde die Mischung in den Quartieren stärken.

Dass aber beim Senat die Bedeutung sozial gemischter Quartiere für die Stadt in Vergessenheit zu geraten droht, ist verwunderlich. Sogar in der prosperierenden bayerischen Landeshauptstadt hält die Politik daran fest. Vor 13 Jahren goss man in München das Programm „sozialgerechte Bodennutzung“ sogar in Gesetzesform. Wenn die Stadt Baugrundstücke ausweist, müssen sich Bauträger verpflichten, 30 Prozent der entstehenden Immobilien als Sozialwohnungen zu vermieten und weitere 30 Prozent an Münchner, deren Gehalt nur knapp über der Bemessungsgrenze für die staatliche Unterstützung liegt. Dem freien Spiel des Marktes bleiben nur zehn Prozent der Mieten überlassen – den oberen Zehntausend gleichsam.

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