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Berlin: Sozialisten hoffen auf die Jetzt-erst-recht-Stimmung

Zwischen Erschütterung und Zweckoptimismus: Manche PDS-Politiker fühlen sich von Gysi im Stich gelassen – andere sehen den Rücktritt als Befreiungsschlag

Neben der Irritation über Gregor Gysis unerwarteten Rücktritt machte sich am Donnerstag innerhalb der PDS zunehmend Ärger über den einsamen Schritt des Wirtschaftssenators breit. „Sein Verhalten ist erbärmlich“, schimpft der Kulturpolitiker Wolfgang Brauer, der für die Sozialisten im Abgeordnetenhaus sitzt. „Gysi hatte einen Auftrag, der mit Amt und Mandat verbunden war. Das schmeißt man nicht bei der ersten kleinen Krise hin und schlägt sich in die Büsche.“ Ähnlich äußern sich auch viele andere Mitglieder und Politiker der Partei.

Gysis Umgang mit der Flugmeilen-Affäre sei „völlig überzogen“, sagt die stellvertretende Landesvorsitzende Annegret Gablin. „Der politische Schaden ist noch nicht abzusehen.“ Und Sylvia Stelz, Mitarbeiterin der PDS-Geschäftsstelle in Neukölln, sagt: .„Wir fühlen uns im Stich gelassen.“ Gysis Umgang mit den Gratismeilen sei zwar „verwerflich“ – aber kein Grund zum Rücktritt.

„Das wird uns Stimmen kosten“, ist von vielen PDS-Mitgliedern zu hören. „Vor allem im Westen wird es jetzt wesentlich schwieriger, für die PDS als Partei zu werben“, befürchtet Wahlkampf-Organisatorin Gablin. In den östlichen Bezirken, wo sich der Einzug in den Bundestag entscheiden wird, hofft sie auf die Treue der Wähler in schwierigen Zeiten: „Die Jetzt-erst-recht- Stimmung hat uns auch in den vergangenen Jahren öfters geholfen.“ Wie sehr die Parteibasis von Gysis Schritt betroffen ist, zeigte sich am Donnerstag auch in den E-Mails, die in der Parteizentrale am Rosa-Luxemburg-Platz eingingen. „Ich kann es nicht glauben“, hieß es in einem Brief. „Der Stadt hätte es gut getan, wenn Gysi geblieben wäre.“ In einem anderen Brief steht: „Ich hoffe, er überlegt es sich noch einmal.“

Manche in der PDS erleben Gysis Schritt hingegen als Befreiungsschlag. „Ich habe mich während der vergangenen drei Tage der Flugaffäre von Gysi im Stich gelassen gefühlt - jetzt kann ich wieder mit erhobenem Kopf auf die Straße gehen“, sagt der Bezirkschef der PDS im Großbezirk Pankow, Gernot Klemm. Er glaubt, dass der Rücktritt des Senators sich im gerade anlaufenden Bundestagswahlkampf vielleicht sogar als Trumpf für die PDS erweisen könnte, die in diesem Bezirk jede Stimme braucht, um eines der drei erhofften Direktmandate zu bekommen: „Gerade beim Thema Privilegien sind die PDS-Wähler sehr empfindlich“, weiß er. „Viele Menschen in unserem Bezirk könnten sich privat nie einen Flug nach Kuba leisten - die finden es nur konsequent, dass Gysi zurückgetreten ist.“ Ähnlich sieht das Marina Richter von der Hellersdorfer PDS: „Gysis Erklärung wird bei den Wählern gut ankommen, weil sich in den vergangenen Tagen viele gefragt haben: Ist die PDS doch wie alle anderen Parteien? Jetzt können wir sagen: Nein, ist sie nicht.“

Politikwissenschaftler Richard Stöss bezweifelt indes, ob sich der Rücktritt tatsächlich als letzter großer Wurf des Spielers Gysi erweisen wird. „Die Stammwählerschaft im Osten wird auch ohne Gysi bei der Stange bleiben“, prognostiziert der FU-Wissenschaftler. „Aber bei der geplanten Westausdehnung als auch gegenüber den Protestwählern im Osten bin ich skeptisch, ob die die PDS ohne Gysi noch wählen.“ Das bezweifelt auch der PDS-Abgeordnete Frederik Over: „Gysi war unser großer Star im Westen. So eine Persönlichkeit kann man nicht ersetzen.“ Lars von Törne

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