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Spandau: Grenzstreit am früheren Todesstreifen

Die Zeit als West-Berliner Exklave in der DDR hat die Kolonie „Erlengrund“ überlebt. Nun gibt es Ärger – 20 Jahre nach dem Mauerfall.

An einem ruhigen Herbsttag könnte kaum ein Ort in Berlin friedlicher sein als die Laubenkolonie „Erlengrund“ im Spandauer Forst: Blätter fallen in die langsam fließende Havel, mit einigen Handgriffen machen Hans Flügel, der Schriftführer des Gärtnervereins, und seine Frau ihre Laube winterfest. Es war hier nicht immer so friedlich: „Erlengrund“ war eine der zehn Exklaven, die zwar auf ostdeutschem Gebiet lagen, aber von West-Berlin verwaltet wurden. Die 36 Lauben waren ein kapitalistischer Fremdkörper, durch Mauer und Todesstreifen vom sozialistischen Staat getrennt. Im Kalten Krieg lag hier die Frontlinie: „Nehmen Sie Ihre Füße aus dem sozialistischen Gewässer“, schnarrte es vom volkseigenen Polizeiboot herüber, als Flügels Mutter ihre Beine einmal über den Steg in die Havel baumeln ließ.

Heutzutage ist der Friede in den Lauben von ganz anderer Seite her bedroht. Denn das Spandauer Forstamt beansprucht einen kleinen, aber entscheidenden Teil des rund 5000 Quadratmeter großen Gebiets, wie sich bei einer Neuvermessung vor zwei Jahren ergab. „Es geht um zwei Geländestreifen, die zwischen 50 Zentimeter und drei, vier Meter breit sind“, sagt der Anwalt Lars Machost, der die Erlengründer berät, „also der ehemalige Postenweg, auf dem die DDR-Grenzer seinerzeit um die Siedlung herum patrouillierten, und der Uferstreifen.“ In den 40 Jahren deutsch-deutscher Teilung hatte sich niemand um den exakten Grenzverlauf gekümmert; die Angaben einer alten Karte entsprachen nicht denen der Neuvermessung. Das Ergebnis: Zwei der Lauben liegen heute nicht mehr auf dem Gebiet des Erlengrundes, bei zwei anderen befindet sich ein Teil außerhalb. Was mit diesen Lauben geschieht, ist nun fraglich. Ein Abriss kommt nicht in Frage, denn die „Wochenendgemeinschaft“ hält zusammen: „Wir lassen uns nicht aufteilen in Habende und Nicht-Habende“, sagt Achim Deppe, der Vorsitzende. Schließlich reichen die Anfänge bis in die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück: „Mein Großvater war hier, meine Eltern, meine Frau und ich, meine Kinder, mein Neffe und jetzt die Kinder meines Neffen“, sagt Flügel, „Wir sind hier schon in der fünften Generation.“ Außerdem sei das Amt nicht „partnerschaftlich“ mit ihnen umgegangen, sagen sie: Kurz nach der Neuvermessung sei ihnen ein Mietvertrag mit „mehr Pflichten als Rechten“ zugeschickt worden. Es folgte eine Räumungsklage samt einer Rückforderung von 12 000 Euro. „Damit kann man uns finanziell zugrunde richten“, sagt Flügel „und das, obwohl sich über 50 Jahre niemand um das Gelände gekümmert hat.“ Am liebsten würden sie das fragliche Gelände einfach kaufen. Das aber kommt für Michael Gödde, den zuständigen Referatsleiter für Landschaftsplanung und Naturschutz, nicht infrage. „Wir können ja nicht den Uferstreifen für einen Apfel und ein Ei verkaufen. Sonst kommt da jeder“, sagt Gödde. Auch der Biologe Manfred Krauß, der ehrenamtlich für den BUND arbeitet, ist gegen einen Verkauf der Fläche – schließlich versuche das Natur- und Grünflächenamt in Spandau seit vielen Jahren, „Uferwege öffentlich zugänglich zu machen“. Ein Verkauf stünde diesem Bemühen entgegen. Außerdem, so Krauß, störten die Lauben direkt am Ufer die Biber, die sich in der Nähe angesiedelt haben. Wirklich unverträglich scheinen die Lauben des Erlengrunds allerdings nicht mit der Ansiedlung des Bibers zu sein: „Die Tatsache, dass der Biber da ist, spricht ja dafür, dass beide miteinander auskommen“, sagt Krauß’ Kollege Herbert Lohner vom BUND. So sehen das auch die Erlengründer: „Wir sind eine Ökosiedlung. Ohne Stromleitungen, fließendes Wasser und Kanalisation“, sagt Hans Flügel.

Referatsleiter Gödde findet es zwar „bemerkenswert“, dass die Erlengründer 40 Jahre DDR überstanden haben, dennoch dürfe es keine Sonderbehandlung geben. Gödde hat nun vorgeschlagen, das Gebiet an die Kleingärtner zu verpachten. Für die Erlengründer aber ist die zehnjährige Pacht des Uferstreifens keine langfristige Perspektive, auch wollen sie nicht von einer Behörde abhängig sein.

Wie es weitergeht, ist offen, beide Seiten beharren auf ihrer Position. Status quo im Spandauer Forst. Als Kompromiss war einmal im Gespräch, das Gelände als historischen Ort für Besucher zu öffnen. Spannende Geschichten gibt es allemal: Als es die DDR noch gab, konnten die Erlengründer nur dann in ihre Lauben, wenn sie zu bestimmten Öffnungszeiten an der Mauer klingelten. „Honecker bitte zweimal klingeln“, hatte in den 80er Jahren jemand von der Westseite neben den Eingang geschrieben. Wer zu spät kam, musste draußen bleiben. Und wer nicht rechtzeitig wieder ging, musste im Scheinwerferlicht der Grenzanlagen übernachten. Sogar Republikflucht gab es: In den 60ern soll ein Grenzer einmal mit zwei Erlengründern als Geiseln in den Westen gelangt sein. Insgesamt war es damals aber ruhiger, sagt Hans Flügel: „Eingebrochen wurde hier erst nach der Wende. Wir haben nie abgeschlossen.“ Zurück haben möchte er die alten Zeiten nicht: „Heute können wir kommen und gehen, wann wir wollen, baden, Rad fahren, wandern ohne Ende.“ Ein Gefängnis bleibt eben ein Gefängnis.

Daniel Stender

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