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Berlin: Spannung bis zum Abpfiff

Derby in Berlin: Unions Bus ist plötzlich blau, die TeBe-Fans mischen mit, und auch die Herthaner können sich freuen. Ein Protokoll.

8.20 Uhr, U-Bahnhof Neu-Westend.

Kurzer Blick auf den Wetterbericht: Heute wird’s grau, kalt, windig – wird ein harter Fußballabend. 1000 Meter sind es von hier bis zum Olympiastadion. Zeit bis zum Anpfiff: Knapp zwölf Stunden. Die nächste Bahn: „1 Minute.“ Also, auf in den Tag!

9 Uhr, Polizeipräsidium Tempelhof. Die Polizisten legen ihre warmen Thermosocken raus, der Tag wird lang. Nachmittags wollen sich die Fans am Zoo treffen, sowohl Unioner als auch Herthaner. Die Gefährdungslage? „Störanfällig“ sei die Partie, heißt es bei der Polizei – das heißt: Die Sicherheit wurde auf die höchste der vier Gefährdungsstufen hochgeschraubt. Im Einsatz sind heute 1250 Beamte.



9.20 Uhr, Wasserklops.
Randale? Ach, davor hat Tito Abdin, 31, in seiner Falafel-Bude am Breitscheidplatz keine Angst. Er hat extra früher aufgemacht, heute will er Geld verdienen, das Dreifache eines normalen Montags. Abdin erzählt: „Normalerweise habe ich kein Bier im Angebot – heute schon.“ Und: „Ich habe die doppelte Menge Dönerfleisch besorgt.“ Jetzt aber erst mal Frühstück.

10.30 Uhr, Salzufer. Der Mannschaftsbus des 1. FC Union (Kennzeichen: B-EU … wie „Eisern Union“) fährt angeblich gerade in die Werkstatt. Ist er etwa kaputt?

11 Uhr, Polizeipräsidium, Tempelhof. Länderspiele, WM 2006 … der Einsatzleiter der Polizei hat Erfahrung. Den Anhängern beider Vereine schreibt er einen offenen, förmlichen Brief. „Sehr geehrte Fußballfans …“ – da macht plötzlich ein Foto bei Facebook die Runde: Zu sehen ist der Union-Bus, auf dessen Seite große blau-weiße Buchstaben gesprüht wurden: „Hertha BSC“. Auf dem Heck leuchtet die Hertha-Fahne. Eine gemeine Provokation – prompt verurteilt der Klub die Tat.

11.01 Uhr, Salzufer. Der Mercedes wird in die Waschanlage gebracht. Unions Vereinssprecher bestätigt: „Unser Bus wurde nachts beschmiert.“ Um 3 Uhr wurde die Tat entdeckt, auf einem Firmengelände in Rudow. Jetzt sei er wieder sauber.

11.30 Uhr. Ständig piept das Handy. Verzweifelte SMS-Anfragen: „Hat jemand ’ne Karte übrig?“ Das Olympiastadion ist mit 74 200 Zuschauern längst ausverkauft. 12 000 Karten wurden nach Köpenick geschickt; es werden mehr Unioner sein – schließlich mussten sie einfach nur in die S-Bahn steigen und konnten ganz normal ein Ticket fürs Spiel kaufen, also auch für den Bereich der Herthaner. Zu Mauerzeiten feierten sich die Anhänger beider Klubs: „Hertha und Union – eine Nation!“ … piep, piep!

13 Uhr, City West. Bald werden hier die ersten Fans eintreffen, die Herthaner am Zoo, die Unioner treffen sich auf dem Breitscheidplatz. Äh, aber genau da ist doch der Hertha-Fanshop? Ach, die Angestellten sind relaxed, das Sicherheitspersonal wurde hochgeschraubt.

13.30 Uhr, Bahnhof Zoo. Auch für S-Bahn und BVG wird es ein kniffliger Tag. Weil ja nicht nur 74 000 Menschen zeitgleich ins Stadion wollen, sondern auch noch der normale Berufsverkehr ansteht, werden mehr U-Bahnen aufs Gleis geschickt. Und mehr S-Bahnzüge. Und mehr Busse.

14.30 Uhr, Gedächtniskirche. Mitten auf dem Breitscheidplatz steht natürlich auch noch die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, ein Ort der Stille inmitten des Touristen- und nun auch Fan-Trubels. Uwe Radicke, 53 Jahre alt und Haus- und Kirchwart des Gotteshauses, sagt, bei ihm bleibe alles so, wie es ist. Wenn es brenzlig wird, will er „deeskalierend“ eingreifen. Nur: Getränke müssen bitte draußen bleiben.

14.50 Uhr, KaDeWe. Draußen treffen die ersten Polizisten ein, im KaDeWe treffen sich die Fans von Tennis Borussia. „Hertha trifft sich am Zoo, die Union am Breitscheidplatz und wir im KaDeWe. Jeder da, wo er hingehört!“ Sagt Denis Hordt, 37. Pure Ironie, natürlich. In der Fußballszene wurde viel gelacht über den feinen Witz! Die TeBe-Fans – elf Leute – trinken stilecht Champagner. 9,90 Euro das Glas.

15 Uhr, Bahnhof Zoo. Jetzt müssten die ersten Fans kommen. Die Blau-Weißen. Zeitgleich machen sich die Union-Fans am Ostkreuz auf den Weg in den wilden Westen. Dort bricht übrigens gerade der Verkehr zusammen. Die Busse der BVG stecken fest.

16 Uhr, Bahnhof Zoo. Die ersten Züge mit Union-Fans rollen am Bahnhof Zoo ein. Mehrere hundert Anhänger der Eisernen steigen aus und werden von der Polizei über den vorderen Ausgang geleitet, so dass sie auf der anderen Seite der Hardenbergstraße herauskommen. Beide Fanlager sind laut, doch zwischen ihnen sind die Polizei und die Straße.

17 Uhr. Die Hertha-Fans sind durch die Polizeipräsenz quasi auf dem Hardenbergplatz eingekesselt. Sprechchöre richten sich gegen die Polizisten, auch Böller und Glasflaschen fliegen. Die Polizisten setzen die Helme auf. Kippt die Stimmung? Stadion. Wer es als Herthaner doch auf den Breitscheidplatz schaffen sollte, würde eine sehr unerfreuliche Entdeckung machen: Am Baugerüst, das zurzeit die Gedächtniskirche verhüllt, haben Unioner in ca. 15 Meter Höhe eine Fahne befestigt. „Berlin ist rot-weiß“, ist dort zu lesen. Wenig später haben Sicherheitsleute die Fahne abgehängt.

19 Uhr: 3:1 lautet das Ergebnis. Für Union. Nicht auf dem Feld, aber im Vorfeld des Spiels. Vor dem Spiel wurden vier Fußballanhänger festgenommen – drei Unioner und ein Herthaner. Sie sollen Pyrotechnik gezündet haben. Später werden es ein paar Festnahmen mehr sein.

19.45 Uhr: Noch immer wollen Fans ins Stadion. Vor allem am Südtor drängelt es sich. Beim Derby wird einfach gründlicher kontrolliert. Es gibt einige Rangeleien. Zum Spielanfang wollen sie doch pünktlich auf ihren Plätzen sein.

20:45: Die Hertha-Fans gehen enttäuscht in die Halbzeit; Union führt 1:0.



21.58 Uhr:
Jetzt können die Blau-Weißen wieder lachen – die Unioner weniger. Ausgleich für Hertha zum 2:2. Und dabei bleibt’s. AG, Ha, axg, npa

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