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Berlin: Spannungsabfall

Es sollte knapp zwischen SPD und PDS werden. Doch Pankow spurte nicht.

Von Katja Füchsel

Von seinem Schaufenster aus hat er alles im Blick. Und am meisten ist am Kollwitzplatz sonnabends, am Markttag, los: Wenn Umweltminister Jürgen Trittin sich zum Einkauf vom Rad schwingt, Außenminister Joschka Fischer über den Platz schlendert oder Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sich kulinarisch fürs Wochenende rüstet. Der ist hier Stammgast. „Thierse wohnt ja quer gegenüber“, sagt Michael Bühnemann im Galerieladen „Kunst-a-bunt“.

Es war gewissermaßen ein Heimspiel für den Direktkandidaten Thierse. Und die Bewohner am Kollwitzplatz sahen während des Wahlkampfs zuweilen nicht nur doppelt, sondern dreifach. Thierse an der Laterne (als Plakat), Thierse an der Ampel (als Plakat), Thierse auf dem Weg zum Bäcker (in echt). Bühnemann: „Ich glaube schon, dass das Wahlergebnis was mit Thierse zu tun hat. Es gab ja auch keine echte Alternative.“

Tatsächlich hat Thierse seine Konkurrenz im Wahlkreis Pankow weit abgehängt: 44,7 Prozent der Erststimmen gingen auf das Konto des SPD-Politikers – das sind über zehn Prozentpunkte mehr als bei der vorigen Bundestagswahl. 1998 ging das Direktmandat aus Pankow noch an die PDS, am Sonntag bekam sie nur 26,1 Prozent der Erststimmen. Damit verpasste PDS-Kandidatin Sandra Brunner (27) den Einzug in den Bundestag. „Ich bin schuld! Ich war’s! Ich hab allen gesagt: Die PDS darf nicht rein“, gesteht ein Mann, Mitte 30, im Café nebenan. Weil sich in diesem Jahr ein Kopf-an-Kopf-Rennen abzeichnete, habe er „ernsthaft gewählt“, mit Taktik und kühler Rechnerei.

Auch am nächsten Tisch sitzen Leute mit Bekenntnisdrang. Wie kam es im Szeneviertel zum Sieg der SPD? „Vermutlich wegen Leuten wie mir“, sagt ein Zeitungsleser und zählt auf: 33 Jahre alt, aus dem Westen zugezogen, klassischer Grünen-Wähler. „Die Erststimme wollte ich nicht an die PDS verschenken.“ Es spricht einiges für die Wossi-These: Während die Grünen in Pankow lediglich 6,4 Prozent der Erststimmen bekamen, kletterte ihr Anteil bei den Zweitstimmen auf 16 Prozent.

Am Tag nach der Wahl bietet der Kollwitzplatz ein eher trauriges Bild. Der Regen jagt die Fußgänger über die Gehwege. Die Kandidaten blicken schon reichlich ramponiert von den Plakaten. Wolfgang Thierse wellt sich, Werner Schulz kam die Nase abhanden, Günter Nooke hängt eselsohrig herab. Im Zeitungsladen wurde in den vergangenen Wochen offenbar selten über Politik diskutiert. Immerhin: „Einmal haben Kunden zu mir gesagt, dass ich den Thierse wählen soll“, sagt die junge Frau hinter dem Verkaufstresen. Und? Die Verkäuferin grinst. „Ich wollte den Stoiber nicht. Also habe ich SPD gewählt.“

Beim Kreisbüro Nord-Ost weiß man natürlich ganz genau, wem Thierse den Stimmen-Segen zu verdanken hat. „Weil’s so ein guter Wahlkampf war“, erklärt der Wahlkampfleiter lachend am Telefon. Er allerdings glaubt, dass die meisten Zugewinne nicht in Prenzlauer Berg, sondern in Pankow und Weißensee eingefahren wurden. Dass die Zugezogenen aus dem Westen das Ruder in Pankow rumgerissen haben, hält der Wahlkämpfer von gestern eher für unwahrscheinlich. Denn die Erfahrung der letzten Jahre habe gelehrt, dass „die Bevölkerungswanderung eher wenig Einfluss“ auf das Wahlergebnis nimmt.

Was der Mann bei „Kunst-a-bunt“ sofort unterschreiben würde. Seit langem hält Michael Bühnemann die Wossi-These für völlig überbewertet. „Die Strukturveränderung liegt hier bei unter zehn Prozent. Das ist doch nicht viel!“ Dass die Wähler vom Kollwitzplatz mal wieder Schlagzeilen schreiben, wundert den Galeristen nicht. Schließlich werde in seinem Stimmbezirk schon immer etwas anders gewählt. „Bei der letzten Berlin-Wahl lag die CDU bei 3,7 Prozent.“

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