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Berlin: Sparsamer Samariter

Ökonomie und Werte sind keine Gegensätze: Bischof Huber hielt Charité-Weihnachtsvorlesung

Ein Mann wird auf offener Straße Opfer eines Raubüberfalls und erleidet lebensgefährliche Verletzungen. Mehrere Passanten gehen achtlos vorbei. Schließlich leistet ein Ortsfremder Erste Hilfe, übernimmt anschließend persönlich den Transport zu einer professionellen Einrichtung und füllt dort eine Kostenübernahmeerklärung für den Patienten aus, bevor er wegen wichtiger Termine weiterfährt.

Eine Geschichte, wie sie sich auch Ende 2006 in Berlin hätte ereignen können? Für Bischof Wolfgang Huber war das Gleichnis vom barmherzigen Samariter am Montagabend in seiner Weihnachtsvorlesung an der Charité auf jeden Fall ein geeigneter Aufhänger, ging es doch um das Thema „Wertorientierung und Ökonomisierung im Gesundheitswesen“. Und das an einem Ort, der aus Tradition die Nächstenliebe im Namen führt und sich heute als Unternehmen bezeichnet.

Die Weihnachtsvorlesung der Charité hat inzwischen eine zehnjährige Tradition. Dass sie diesmal auf besonders großes Interesse stieß, lag sicher an der Neugier auf den prominenten Redner. Zugleich ist die Berliner Universitätsmedizin in diesem Jahr aber auch besonders oft in die Schlagzeilen geraten. Zuletzt mit dem Fall der Krankenschwester, die inzwischen gestanden hat, mehreren ihrer Patienten auf der Intensivstation das Leben genommen zu haben. Davor hatte bereits die Geschichte eines Patienten Aufsehen erregt, der mehrere Tage mit seinem Rollstuhl in einem Aufzug der Klinik eingeschlossen geblieben war. Jeder dieser Vorfälle könnte auf seine Art geeignet sein, das „Spannungsfeld zwischen der technischen Entwicklung der modernen Medizin und dem Wunsch nach menschlicher Wärme“ zu illustrieren, von dem der Internist Herbert Lochs, Initiator und Organisator der Weihnachtsvorlesungen, einleitend gesprochen hatte.

Die Erwartung indes, dass der Bischof Nächstenliebe und Geldbeutel gegeneinander ausspielen würde, wurde gründlich enttäuscht. „Der Zuwendung zum Menschen widerspricht es nicht, dass Geld ins Spiel kommt“, sagte Huber. Im Gegenteil, die materiellen Voraussetzungen müssten stimmen, damit Leben gerettet werden kann: „Immerhin hatte der Samariter ein Transportmittel. Das kann wichtig sein, wenn Christen ihrer Aufgabe nachkommen wollen.“

Viele Menschen, die im Gesundheitswesen beschäftigt seien, erlebten dort allerdings heute eine „wachsende Diskrepanz der Rahmenbedingungen zum eigenen Ethos“, meinte Huber. Weil Zeit Geld ist, geht es dabei oft um das Maß der möglichen Zuwendung. Mit der nüchternen Diagnose verbindet der Bischof deshalb eine Mahnung: „Zwischen den Ärzten und Pflegekräften und den Patienten vermittelt das Geld, aber es darf sich nicht dazwischendrängen.“ Dass die vorhandenen Finanzmittel effizient eingesetzt würden, sei aber ebenfalls eine ethische Forderung. Um das für die Allgemeinheit beurteilbar zu machen, setzt Huber auf Transparenz – zum Beispiel durch die Veröffentlichung von Krankenhausdaten.

Vor der Weihnachtsvorlesung hatte Huber den Besuch in der Charité zum Anlass genommen, gemeinsam mit Domprobst Stefan Dybowski in der Hörsaalruine des medizinhistorischen Museums eine Andacht zu halten. Diese wurde auch in die Krankenzimmer übertragen. Er hatte zudem auf einigen Stationen der Medizinischen Klinik IV auf dem Campus Mitte schwerkranke Patienten besucht.

Adelheid Müller-Lissner

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