zum Hauptinhalt
Raed Saleh, 38, geboren im Westjordanland, ist im Westen Berlins aufgewachsen. Seit 2011 ist er SPD-Fraktionschef.

© Doris Spiekermann-Klaas

SPD-Fraktionschef über RAW, Polizei, Flüchtlinge: Raed Saleh: Stimmung in Berlin könnte kippen

"Jeder hat ein Recht auf Sicherheit", sagt SPD-Fraktionschef Raed Saleh. Im Interview plädiert er für ein vernetztes Konzept für das RAW-Gelände, mehr Wertschätzung für Polizisten, spricht über überlastete Ämter, Flüchtlinge und Basta-Politik in der Stadt.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Herr Saleh, auf der Partymeile in Friedrichshain herrscht Alarmstimmung. Kriminelle Banden beherrschen das Revier, sind Polizei und Politik an solchen Orten machtlos?

Es darf in Berlin keinen Ort geben, der ein rechtsfreier Raum ist. In dieser Stadt hat jeder Bürger, jeder Besucher rund um die Uhr das Recht auf Sicherheit. Das ist ein Grundbedürfnis, das erfüllt werden muss. Das ist ein ur-sozialdemokratisches Thema, so wie bezahlbare Wohnungen, gute Arbeit und öffentliche Daseinsvorsorge.

Versagt die Polizei?

Ich habe viele Freundinnen und Freunde bei der Polizei. Sie haben leider oft das Gefühl, dass man sie allein lässt. Sie arbeiten mit einem hohen persönlichen Einsatz, mit vielen Überstunden, und ich wünsche mir mehr Wertschätzung für unsere Berliner Polizei. Auch manche Abgeordnete suchen nach schwierigen Einsätzen voreilig die Fehler allein bei den Sicherheitskräften, sprechen von Polizeigewalt, ohne die Situation wirklich zu kennen. Wir müssen die Polizei als Partner der Stadt betrachten.

Werden Polizeikräfte an den falschen Orten konzentriert, etwa im Görlitzer Park, wo die Kontrollen des Drogenhandels offenbar nicht viel bringen?

Innensenator Frank Henkel hat einen Schwerpunkt gelegt auf die Kontrolle des Görlitzer Parks, man darf aber auch andere schwierige Orte nicht aus dem Blick verlieren. Die können in der City, aber auch in den Randbezirken liegen. Gefragt ist aber nicht nur Polizeipräsenz. Die Akteure vor Ort müssen wachsam sein. Damit meine ich die Anwohner, die Einzelhändler, die Vereine und Initiativen. Es müssen bürgerschaftliche Netzwerke gebildet werden, die zu einem Umfeld beitragen, das als sauber und sicher gilt.

Raed Saleh, 38, geboren im Westjordanland, ist im Westen Berlins aufgewachsen. Seit 2011 ist er SPD-Fraktionschef.
Raed Saleh, 38, geboren im Westjordanland, ist im Westen Berlins aufgewachsen. Seit 2011 ist er SPD-Fraktionschef.

© Doris Spiekermann-Klaas

Ein anderes Thema, dass die Berliner bewegt, ist der Zustrom von zehntausenden Flüchtlingen. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller warnte kürzlich vor der Gefahr, die Bürger zu überfordern. Aber sind es nicht in erster Linie die Berliner Behörden, die überfordert sind?

Der Umgang mit Flüchtlingen ist auch ein Indikator dafür, wie menschlich eine Stadt ist. Ich bin nach den bisherigen Erfahrungen überzeugt, dass Berlin und seine Bürger sehr solidarisch auf die Menschen reagieren, die Zuflucht vor Krieg, Terror und Vertreibung suchen. Die Berliner mobilisieren derzeit ungeahnte Kräfte, um zu helfen. Ich bin stolz auf unsere Bürger. Es wurden aber auch Fehler gemacht. Dazu gehört der Aufbau von Flüchtlingsunterkünften über Nacht, ohne die Anwohner rechtzeitig zu informieren. Die Bürger müssen aber die Chance haben, sich auf ihre neuen Nachbarn vorzubereiten. Man muss ihnen nicht nur erklären, was passiert. Sie müssen voll eingebunden werden, auf Augenhöhe. Sonst kann die Stimmung kippen.

Die Mitarbeiter im Landesamt für Gesundheit und Soziales und in der Ausländerbehörde sind völlig überlastet. Was tun?

Die Kolleginnen und Kollegen in diesen Behörden arbeiten bis zum Umfallen, viele laufen schon auf dem Zahnfleisch. Unsere Mitarbeiter dürfen wir nicht alleine lassen und deshalb ist es gut, dass der Regierende Bürgermeister gesagt hat, dass die Flüchtlingspolitik ein Thema der gesamten Stadt ist. Und der gesamten Verwaltung. Es geht ja nicht nur um die Unterbringung, es geht um die Gesundheitsversorgung und die Betreuung und Ausbildung der Kinder und Jugendlichen. Da wurden früher große Fehler gemacht. Wir kümmern uns in Berlin nicht zum ersten Mal um viele Flüchtlinge. Ich erinnere nur an die achtziger Jahre, während des Libanon-Kriegs. Damals haben wir die Flüchtlingskinder nicht in die Kitas und Schulen geschickt, mit schlimmen Auswirkungen, die bis heute wirken.

Hätte der Regierende das Thema eher zur Chefsache machen müssen?

Michael Müller, und das finde ich gut, hat deutliche Worte gefunden und gesagt, was seine Erwartungen sind, um die Probleme zu lösen

Ein weiteres großes Thema ist der Mieten-Volksentscheid, dessen Organisatoren sich mit ihren Forderungen weitgehend durchgesetzt haben. Ist der mit dem Senat ausgehandelte Kompromiss nicht das Signal – liebe Regierende, einigt euch bei wichtigen Problemen doch gleich mit den Bürgern, bevor sie euch überstimmen?

Wir haben über den Entwurf für ein neues Mietengesetz mit Bürgern verhandelt, die sachkundig sind und für diese Stadt brennen. Keine Seite hat aus der Defensive heraus verhandelt. Und das ist mir auch besonders wichtig. Die Politik muss lernen, sich auf Augenhöhe mit den Bürgern zu bewegen. Politikern, die sagen, wir müssen zu den Leuten gehen, denen sage ich: Ihr wart nie bei den Leuten. Berlin ist nun mal keine Stadt für eine Basta-Politik. Die wichtigste Lehre aus dem Scheitern der Senatspläne für das Tempelhofer Feld war aus meiner Sicht, mit den Bürgern frühzeitiger, direkter und offener ins Gespräch kommen und um sinnvolle Kompromisse zu ringen.

Berlin hat seit 2006 großzügige Regelungen für die direkte Demokratie, mit niedrigen Abstimmungshürden, und auch hohe Kosten zulasten des Landeshaushalts sind erlaubt. Hat sich dieses Modell bewährt oder haben Sie Verbesserungsvorschläge?

Ich bin ein Freund der direkten Demokratie, weil sie sich positiv auf die Regierungspolitik auswirkt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das Volksbegehren zum Berliner Wasser führte dazu, dass die Wasserbetriebe wieder den Berlinerinnen und Berlinern gehören, außerdem wurden die Preise gesenkt. Die Politik muss lernen, Initiativen der Bürger als hilfreich und partnerschaftlich zu verstehen, es geht um die Demokratisierung der Stadtgesellschaft. Wenn Politiker verlernen, den Menschen zuzuhören, bilden sich neue politische Kräfte, die die alten Regierungen ersetzen. Wie in Griechenland oder demnächst wahrscheinlich in Spanien, vielleicht auch in Italien.

Sie haben während der Olympiabewerbung Berlins vorgeschlagen, dass das Abgeordnetenhaus künftig zu großen Projekten der Stadt von sich aus die Bürger befragen sollte. Haben Sie diese Pläne aufgegeben?

Nein. Für Olympia in Berlin sind die Messen gesungen, aber es gibt immer wieder kostspielige, die innerstädtische Diskussion bewegende Vorhaben, bei denen wir die Bürger als Partner der parlamentarischen Demokratie direkt einbeziehen sollten. Mit Hilfe pro-aktiver Referenden. Das erfordert Mut, gewiss. Aber mein Vorschlag, den ich natürlich aufrechterhalte, stößt auch bei anderen Parlamentsfraktionen auf Sympathie…

… bei Grünen, Linken und Piraten?

… bei anderen Fraktionen des Landesparlaments. Aber ich gehe realistischerweise davon aus, dass sich für meine Idee erst in der nächsten Legislaturperiode eine Mehrheit findet.

Im Herbst 2016 wird in Berlin neu gewählt. Wollen Sie nach der Abgeordnetenhauswahl Chef der SPD-Fraktion bleiben?Vorausgesetzt, Sie behalten Ihr Mandat?

Mir macht meine Arbeit viel Spaß, wir haben in und mit der SPD-Fraktion seit 2011 viel bewegt, wichtige Themen vorangebracht. Die neue Fraktion wird darüber entscheiden, aber ich würde die Arbeit als Fraktionsvorsitzender gern fortsetzen.

Wie ist Ihre Wahlprognose für 2016? Sie sprachen im vergangenen Jahr, während Ihrer Mitbewerbung um das Amt des Regierungschefs, von 30 Prozent plus…

Ja, das habe ich gesagt. Aber jetzt ist nicht die Zeit für Wahlprognosen. Nur so viel: Die SPD will stärkste politische Kraft in Berlin bleiben und die erfolgreiche Regierungsarbeit mit Michael Müller im Roten Rathaus fortsetzen.

Lieber mit den Linken, den Grünen oder mit den Schwarzen?

Mit der Partei, mit der wir Sozialdemokraten die größten politischen Schnittmengen haben. Der wichtigste Maßstab bleibt dabei die soziale Gerechtigkeit.

Das Gespräch führte Ulrich Zawatka-Gerlach.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false