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Berlin: SPD profitiert von Rot-Rot

Den Sozialisten hat die Regierungsbeteiligung nicht genutzt

Umfragen sind keine Wahlen. Doch so weit man dem demoskopischen Trend trauen kann, scheint die rot-rote Koalition in Berlin den Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl nicht zu schaden. Das hätte vor einem Jahr niemand vorausgesagt. Als die SPD nach dem Aus der großen Koalition wegen der Bankenaffäre die SED-Nachfolgepartei erst zum stillen Teilhaber von Rot-Grün und dann zum Koalitionspartner machte, löste das Erschütterungen aus. Selbst der Kanzler warnte vor Rot-Rot. Ausgerechnet von den Genossen in der Hauptstadt, wo die Mauer gestanden hatte, wollte er sich seine Wahlchancen nicht vermasseln lassen.

Inzwischen haben sich die Berliner offenbar mit dem früher undenkbaren Zweierbündnis abgefunden, und zwar ganz unabhängig von Kritik an der Senatspolitik. Jedenfalls steht die SPD mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit überraschend gut da. SPD-Chef Peter Strieder und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit haben die PDS hoffähig gemacht, aber wie es aussieht, zieht sie eher den Kürzeren.

Nach den Umfragen im August liegt die SPD für die Bundestagswahl in Berlin bei 35 bis 38 Prozent. 1998 erhielt sie in Berlin 37,8 Prozent, bundesweit 40,9 Prozent. Wäre jetzt Abgeordnetenhaus-Wahl, käme die SPD laut Umfragen auf 34 bis 36 Prozent; zur Berliner Wahl im Herbst 2001 waren es 29,7 Prozent. Die PDS wird für den 22. September mit zehn bis 13 Prozent bewertet, aber auch nur noch mit 13 Prozent, wäre jetzt Abgeordnetenhaus-Wahl (2001: 22,6 Prozent). Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren holte die PDS in Berlin 13,4 Prozent.

Nun hat die Berliner SPD bei Bundestagswahlen der neunziger Jahre immer weitaus besser abgeschnitten als bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus; 1999 sank sie auf ihr Rekordtief von 22,4 Prozent. Aber bei der Neuwahl 2001 erholte sie sich – dank der Krise der CDU, die gegenüber 1999 von 40,4 auf 23,8 Prozent absackte. Für die Bundestagswahl zeigt das CDU-Barometer zwar wieder nach oben, aber die Union liegt deutlich hinter der SPD. Das alles zeugt von ziemlich großen Sprüngen im Wahlverhalten. Überraschungen sind also auch diesmal drin.

Das erklärt noch nicht, warum sich die SPD trotz Rot-Rot recht gut behauptet. Die SPD stehe eben nicht mehr im Schatten der CDU wie in den zehn Jahren der großen Koalition, und die Union habe sich immer noch nicht erholt, meint der Wahlanalytiker Andreas Hahn. Vor allem aber sieht er die PDS doppelt entzaubert. Erstens muss sie als Regierungspartei ihren Wählern erklären, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Zweitens ist ihr die Leitfigur Gregor Gysi abhanden gekommen: „Früher war es schick, Gregor Gysi toll zu finden.“ Nun ist er nicht mehr da, zurückgetreten als Bürgermeister und Wirtschaftssenator wegen der Flugmeilenaffäre. Das hat die eigenen Anhänger vergrätzt – und macht für andere die PDS nicht mehr so interessant.

Aus der SPD tönt es, die Probleme der PDS würden ihr eher nutzen. So sieht es auch Klaus Wowereit. Das exzellente Abschneiden der PDS 2001 nennt er eine Ausnahme. Die PDS habe damals mit ihrem Spitzenkandidaten Gysi und mit ihrem Nein zum Afghanistan-Einsatz nach dem 11. September Punkte gemacht. Jetzt könne die SPD besonders im Osten vom Abgang Gysis und von der klaren Haltung des Kanzlers in der Irak-Frage profitieren. Außerdem fällt Wahlkämpfer Wowereit auf, dass selbst die CDU/CSU nicht mehr versucht, mit der Aversion gegen Rot-Rot in Berlin zu punkten.

Doch Wahlanalytiker Hahn ist vorsichtig. Kann sein, dass Gysi-Fans ihren Ärger in der Wahlkabine vergessen. Kann auch sein, dass die PDS im Osten verliert und dafür im Westen etwas Boden unter die Füße bekommt. Die Erinnerung an die Mauer ist für viele verblasst. Immerhin sind rund zehn Prozent der 2,4 Millionen Berliner Wahlbürger jünger als 25 und insgesamt 25 Prozent unter 35. Umfragen hin, Umfragen her, alle Parteien wissen: Auf die Mobilisierung ihrer Anhänger kommt es an. Brigitte Grunert

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