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Berlin: SPD und AL: Zwischen Krötentunnel und Mainzer Straße

Die Plakate, die für eine Neuauflage von Rot-Grün warben, waren schon geklebt, und der Regierende Bürgermeister Walter Momper war unterwegs auf Wahlkampftour im Plänterwald. Als er zurückkam, am Abend des 16.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Plakate, die für eine Neuauflage von Rot-Grün warben, waren schon geklebt, und der Regierende Bürgermeister Walter Momper war unterwegs auf Wahlkampftour im Plänterwald. Als er zurückkam, am Abend des 16. November 1990, hatte er keinen Partner mehr zum Regieren. Die Fraktionschefin der Alternativen Liste, Renate Künast, verkündete nach siebenstündiger Diskussion im Rathaus Schöneberg: Die AL werde die Koalition verlassen. Der Landesvorstand schloss sich dem Votum an, das der basisdemokratische Delegiertenrat der Öko-Partei am Vorabend - unter dem Eindruck der polizeilichen Räumung von elf besetzten Häusern in der Mainzer Straße - eingefordert hatte.

"Schnauze voll" - das war die Stimmung in beiden Regierungslagern. Der Barrikadenkampf in Friedrichshain zwischen 250 völlig außer sich geratenen Autonomen und 2000 zum Sieg verdammten Polizisten, der Berlin drei Tage in Atem hielt, war willkommener Anlass für die "Aussteiger" in der SPD und in der AL. Seit jenem 16. März 1989, an dem der rot-grüne "Momper-Senat" gewählt wurde, waren genau 20 Monate vergangen. Eine kurze Spanne streitbarer, manchmal sogar fruchtbarer Kooperation. Aber in vielen Nachtsitzungen verbrauchten sich die Kräfte und der Wille zur Zusammenarbeit. Der Mauerfall sorgte für einen kurzen Aufschwung des SPD/AL-Senats - und gab ihm anschließend den Rest.

"Wir waren nicht vorbereitet auf die Wende", sagt heute der Grünen-Verkehrsexperte Michael Cramer. Vor zehn Jahren war er einer von drei AL-Abgeordneten, die in der Fraktionssitzung vom 16. November gegen den Ausstieg aus der Koalition stimmten. "SPD und AL wollten die Einheit nicht, aber Momper hat sich ruckzuck umorientiert. Nur wir haben es nicht geschafft, den Streit um unsere Deutschlandpolitik rasch beizulegen." Walter Momper, sagt Cramer, wollte eigentlich schon vor den Sommerferien 1990 aus der rot-grünen Koalition raus. SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt habe dies zunächst verhindert, mit Rückendeckung des Alt-Linken Harry Ristock. Doch im November folgte das Ende vom Lied: "Momper fuhr zum Staatsbesuch nach Moskau und überließ dem Innensenator Erich Pätzold die Drecksarbeit in der Mainzer Straße."

Pätzold sei damals kaum noch ansprechbar gewesen, erinnert sich der Grünen-Realo Bernd Köppl, der - wie Cramer - den Koalitionsbruch verhindern wollte. "Der war völlig außer sich, hat mich stehen lassen und gesagt: Jetzt holen wir unsere sozialdemokratischen Wähler wieder." Der Riss sei nicht mehr zu kitten gewesen zwischen einem zunehmend autoritär agierenden Regierungschef Momper, der von einem großen SPD-Sieg bei den Abgeordnetenhauswahlen am 2. Dezember 1990 träumte, und jenen politisch unerfahrenen AL-Funktionären, die "ein absurdes Theater aufführten".

Soweit geht Pätzold mit: "Die Mainzer Straße war der Endpunkt einer Entwicklung, in der wir uns auseinander gelebt haben." Aber er streitet heftig ab, damals auf die Wähler geschielt zu haben, die Recht und Ordnung wollten. "Es stand Spitz auf Knopf, diesen Ausbruch der Gewalt konnten wir nicht hinnehmen, der Polizeieinsatz war unausweichlich." Einige Parteifreunde hätten gefragt, ob die Räumung der Häuser nicht nach der Wahl stattfinden könnte. Aber das sei, rechtsstaatliches Denken vorausgesetzt, eine unaufschiebbare Sache gewesen und die Grünen hätten völlig überreagiert. "Letztendlich haben beide Parteien entsetzlich darunter gelitten." Dass Momper zu jener Zeit ein doppeltes Spiel getrieben habe, glaubt Pätzold bis heute nicht. "Der war doch ein erklärter Rot-Grüner."

Ja, SPD und AL litten entsetzlich unter dem Unvermögen, die - einheitsbedingt - verkürzte Wahlperiode mit Anstand zu Ende zu bringen. Sie verloren die erste Gesamtberliner Abgeordnetenhauswahl mit Pauken und Trompeten. Die Sozialdemokraten rutschten auf 30 Prozent der Wählerstimmen ab, die West-Berliner Grünen (AL) auf fünf Prozent. Rot-Grün konnte die politische Mitte nicht gewinnen. Es gab zu viele Absonderlichkeiten und hochstilisierte Konflikte, die Akzeptanz und Sympathien kosteten: Der Krötentunnel im Spandauer Forst zum Beispiel, oder der Plan der ehemaligen Umweltsenatorin Michaele Schreyer, auf dem Potsdamer Platz eine Bundesgartenschau zu veranstalten. Busspuren, Tempo 80 auf der Avus, Tempo 30 im Stadtgebiet und die Sperrung der Havelchaussee für den Autoverkehr brachten die Stadt zeitweilig in Aufruhr. Trotzdem hielten viele Beschlüsse des SPD/AL-Senats bis heute. Auch die verbilligte BVG-Umweltkarte, das Antidiskriminierungsgesetz oder die ersten Fanprojekte in Fußballvereinen.

Mehr als 40 Prozent der Berliner hätten bis zum Bruch der Regierung ein "überwiegend positives Bild" von der rot-grünen Koalition gehabt, stellten Meinungsforscher von Infas nach der Dezemberwahl 1990 fest. Nur eine Minderheit habe der CDU, die mit Eberhard Diepgen den Wahlsieg davontrug, eine bessere Regierungsarbeit zugetraut und: "Eine Große Koalition wollten die wenigsten."

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