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Die roten Wagen sind wohl die markanteste Erinnerung an die Mitropa. Dieser hier gehört zum "Wolkensteiner Zughotel" im Erzgebirge.

© picture alliance / Jan Woitas/dpa

Speisewagen der Bahn: 100 Jahre Mitropa: "Die Tassen stark, der Kaffee schwach"

Vor 100 Jahren wurde die Mitropa gegründet – ein Imperium fürs Essen und Schlafen unterwegs. Geblieben sind Freundesvereine und Porzellan auf Ebay. Erinnern Sie sich?

Ein Imperium wird 100 an diesem Donnerstag. Würde 100, wenn Hartmut-Bahnchef Mehdorn es nicht versenkt hätte, um gleich mal möglichst populär die Schuldfrage zu klären. Also gibt es heute kein Fest mit Ragout fin, Soljanka und Nordhäuser Doppelkorn, sondern nur stille Einkehr bei den Veteranen. Auf den Tag genau vor 100 Jahren wurde die Mitropa gegründet, die MITteleuROPäische Schlafwagen- und Speisewagen Aktiengesellschaft. Die mit den roten Speisewagen mit gelber Schrift, den Autobahnraststätten und Bahnhofsrestaurants. Jenes Reich der unverwüstlichen Porzellanserie „Rationell“ mit den stapelbaren Tassen und den Kännchen mit absturzsicherem Deckel, wie man ihn eher der freiheitlich-demokratischen Marktwirtschaft zugetraut hätte als der DDR, die nicht mal einen gescheiten Dosenöffner zustande brachte.

Der Verein entstand, um einen Mitropa-Waggon zu restaurieren

„Eine Feier gibt’s erst zur Mitgliederversammlung nächstes Jahr“, sagt Klaus- Dieter Kretschmann, langjähriger Schlafwagenschaffner und Vorsitzender des Vereins „Freunde der Mitropa e.V.“ im Berliner Südosten. Rund 50 Mitglieder hat der Verein, der 1996 zur Restaurierung eines Mitropa-Waggons von 1940 gegründet wurde und seit Vollendung des Werkes – der Wagen steht jetzt vor der Zentrale von DB Fernverkehr in Frankfurt am Main – die Geschichte der Verkehrsgastronomie bewahrt: Auf den Festen der Dampflokfreunde mit Domizil in Schöneweide bewirtschaften die Mitropa-Veteranen deren original bordeauxroten Speisewagen oder den etwas kleineren Buffetwagen. Sie besuchen befreundete Vereine in Thüringen und Sachsen und öffnen auf Anfrage ihre kleine Laden-Ausstellung nahe dem Bahnhof Köpenick.

Nach der Wende betrieb die Mitropa auch Bordrestaurants im ICE.
Nach der Wende betrieb die Mitropa auch Bordrestaurants im ICE.

© picture-alliance / ZB

Wessis denken an muffige Raststätten und komischen Geruch

Wenn man das Stichwort „Mitropa“ in eine nicht mehr ganz taufrische deutsch-deutsche Runde wirft, fallen den Wessis muffige Raststätten mit muffligem Personal und ein komischer Geruch ein. Aber der Geruch kam wohl eher vom Bohnerwachs, und wirkliche Stammkunden waren naturgemäß eher die Ossis. Die haben sogleich den alten Witz parat: „Die Tassen sind stark, aber der Kaffee ist schwach“ und betonen, dass abgesehen vom wirklich bescheidenen Kaffee insbesondere die Speisewagen gepflegter und gemütlicher waren als die sonstige DDR. Von der unterschieden sie sich auch durch die relativ zuverlässige Verfügbarkeit von Spezialitäten wie Radeberger Pilsner und anständig gebratenen Schnitzeln. Die DDR war ein mikrowellenfreies Land, und BordBistro wie SnackPoint wurden erst später erfunden.

Das solide Geschirr mit dem markanten Schriftzug und stapelbaren Tassen gehörte zu den Markenzeichen der Mitropa.
Das solide Geschirr mit dem markanten Schriftzug und stapelbaren Tassen gehörte zu den Markenzeichen der Mitropa.

© dpa

„Gemeckert haben die Leute erst, wenn zwei Stunden vor der Ankunft schon manches ausverkauft war“, erinnert sich Klaus-Dieter Kretschmann. Wobei es die Mitropa auch in Gestalt von Hotels, Friseursalons, Kiosken, Bahnhofsrestaurants und auf Schiffen der Weißen Flotte gab – und eben als Schlafwagenbetreiber. „In diesem Bereich haben wir hohes Ansehen genossen“, berichtet Kretschmann, der in den Osten wie in den Westen fahren durfte. Die DDR allein war zu klein für Schlafwagen, und auch der Zustand des Schienennetzes sprach eher fürs Wachbleiben. Dafür war das Bahnfahren billig, was die Mitropa vergleichsweise teuer erscheinen ließ – und zu etwas Besonderem machte. „Es war eine Oase der Ruhe und Kultiviertheit, wenn nicht gerade ein paar NVA-Soldaten auf Urlaubsfahrt aufeinandertrafen und schwer gebechert haben“, erinnert sich ein einstiger Stammgast. Ein kommunikativer Ort und obendrein ein denkbar komfortabler, wenn der restliche Zug mit seinen kunstlederbezogenen Achtpersonenabteilen in der zweiten Klasse gerade sehr voll war. „Die Kellner waren langsam, aber gemütlich. Nicht so barsch wie die in den HO-Lokalen.“ Und wenn man seine Jacke in die Ecke hängte, war nach der Mahlzeit nicht nur die Jacke noch da, sondern auch das Portemonnaie noch drin. Lange her.

Geblieben sind alte Schriftzüge - und Witze

Groß geworden war die Mitropa dank Speise- und Schlafwagenmonopol bald nach ihrer Gründung. Nach dem Ersten Weltkrieg zusammengestutzt, expandierte sie zu Luft mit der Lufthansa und zur See mit der Fähre Sassnitz-Trelleborg. Nach dem Zweiten Weltkrieg berappelte sie sich trotz stark dezimierten Fuhrparks im Osten, während sie im Westen in der Gesellschaft DSG verschwand. 1994 fusionierten beide Unternehmen zur Mitropa AG, aber die wurde ab 2002 in ihre Geschäftsbereiche zerlegt und verkauft, bis 2004 die letzten Reste im Klopskettenkonzern SSP („The Food Travel Experts“) verschwanden. Eine Anfrage dort nach der Mitropa bleibt unbeantwortet. Was bleibt, sind Spuren wie die abblätternden Buchstaben an rotten Bahnhofsgebäuden von Metropolen wie Tantow in der Uckermark und Pasewalk in Vorpommern. Geschirr auf Ebay. Aber eben auch die gepflegten bordeauxroten Wagen bei Traditionsvereinen, die Veteranen wie die vom Freundesverein. Und Witze wie dieser: „Herr Ober, ich kaue schon 20 Minuten auf diesem Schnitzel herum!“ – „Sie können ruhig weiterkauen, wir haben 30 Minuten Verspätung.“

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