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Glücksfund: Direkt unter dem Eingang zum Mauerpark wurde der Zugang zum Fluchttunnel entdeckt.

© Berliner Wasserbetriebe

Spektakulärer Fund in Berlin-Pankow: DDR-Fluchttunnel am Berliner Mauerpark entdeckt

Im Mauerpark haben die Wasserbetriebe bei Grabungen einen alten Fluchtweg entdeckt. Mauerforscher Torsten Dressler vermutet sogar noch drei weitere Tunnel in dem Gebiet.

Direkt unter dem Eingang zum Berliner Mauerpark ist ein spektakuläres Zeugnis der deutschen Teilung entdeckt worden: der Zugang zu einem Fluchttunnel. In fünf Metern Tiefe stieß der enge, mit Holzpflöcken abgestützte Gang unter der Mauer durch und endete 80 Meter weiter vor einem Haus in der Oderberger Straße.

Unter den Granitstufen an der Bernauer Straße, die für eine Baugrube der Wasserbetriebe entfernt wurden, trat im Dezember zunächst eine tonnenschwere Betonplatte zutage. Die Reste einer Panzersperre, wie sich herausstellte. Nicht überraschend, denn wenige Meter weiter verlief die Mauer, die an dieser Stelle von der Bernauer Straße scharf nach Norden abknickte. Sie trennte den stillgelegten Güterbahnhof des Nordbahnhofs vom Friedrich-Jahn-Sportpark in West und Ost, später wanderte die Grenze durch einen Gebietsaustausch noch etwas weiter nach Westen.

Bauarbeiten wurden gestoppt

Der Fund der Panzersperre war ein Glücksfall für den Berliner Archäologen und Mauerforscher Torsten Dressler, der das Areal mit seinem Team unter die Lupe nehmen durfte. Schnell fand er die Fundamente eines Schuppens – und darin den verschütteten Schacht zu einem der Fluchttunnel. Nach intensivem Studium von Stasi-Akten vermutet Dressler sogar noch drei weitere Tunnel im Eingangsbereich des Mauerparks, doch allein dieser Fund ist interessant genug, um die Bauarbeiten an dieser Stelle zu stoppen.

„Ein einmalige Chance“ wittert Dietmar Arnold, Vorsitzender des Vereins Berliner Unterwelten e. V. Seine Vereinsmitglieder würden am liebsten sofort den verschütteten Schacht ausheben und nachschauen, was von dem Tunnel erhalten ist. „Vielleicht ließe sich dort ein archäologisches Fenster bauen, durch das Besucher einen Blick auf den originalen Tunnel werfen können.“

In den Stasi-Akten entdeckt

Die Wasserbetriebe wollen möglichen Ausgrabungen nicht im Wege stehen. Man habe einen guten Draht zur Denkmalbehörde und mache bei den Bauarbeiten zu einem großen unterirdischen Stauraumkanal unter dem Mauerpark nichts kaputt, beteuert Sprecher Stephan Natz. Für Karin Wagner, Leiterin für Gartendenkmalpflege und Archäologie, ist keine Eile geboten. Sie möchte dem Tunnel erst nach Abschluss der Bauarbeiten in eineinhalb Jahren mit Grabungen nachspüren. Die Ausgestaltung eines möglichen Erinnerungsorts wird in den Händen der Stiftung Berliner Mauer liegen.

Das dunkle Rechteck innerhalb der Grundmauern des eingeebneten Schuppens ist der verschüttete Schacht zum Tunneleingang.
Das dunkle Rechteck innerhalb der Grundmauern des eingeebneten Schuppens ist der verschüttete Schacht zum Tunneleingang.

© Stephan Natz/Berliner Wasserbetriebe

Torsten Dressler ist auch auf die Ermittlungsergebnisse der Stasi zu dem wiederentdeckten Tunnel gestoßen. Schließlich traf er sogar einen Zeitzeugen, der aus Idealismus beim Bau geholfen hatte. Demnach wollte ein gewisser Herr Weinstein seine Familie aus der DDR in den Westen holen. Er beauftragte vier Tunnelbuddler, die im März 1963 mit dem Aushub im Schuppen des Güterbahnhofs begannen. Die Erde verfrachteten sie in ein anderes Gebäude. Erst wenige Meter vor dem Ziel, einem Keller der Oderberger Straße 31, mussten sie aufgeben, vermutlich auf Höhe des Bürgersteigs vor dem Haus. Ein Kurier, der die Familie von der bevorstehenden Flucht unterrichten sollte, war von der Stasi geschnappt worden und hatte das Geheimnis ausgeplaudert.

Die Flucht scheiterte, wie so viele andere. Zurück blieben Familien, die weiter unter der Trennung litten und von einem Leben in Freiheit nur träumen konnten. Die angefangenen Tunnel wurden von den Grenzern verschüttet oder geflutet. Mehr als 70 Tunnel entstanden unter der Mauer, die meisten von ihnen in den frühen sechziger Jahren.

Tunnelfluchten-Tour der Berliner Unterwelten

Eine Spezialeinheit der Stasi machte den Fluchthelfern bald das Graben schwer. Ende der Sechziger kamen die Grenztruppen den Tunnelbauern auch mit speziellen Ortungssystemen auf die Schliche. Nur 19 Tunnelfluchten waren erfolgreich, sie brachten aber mehr als 300 Menschen aus der DDR nach West-Berlin.

Der erste Tunnel wurde im Oktober 1961 gegraben, der Bau des letzten scheiterte 1984. Das spektakulärste Projekt war ein Tunnel von einer leer stehenden Bäckerei in der Bernauer Straße zu einem Toilettenhaus in einem Hof der Strelitzer Straße. 57 Menschen gelang 1964 die Flucht in den Westen.

Die rot markierte Linie zeigt den wiederentdeckten Tunnel. Die gestrichelten Linien zeigen die vermuteten Verläufe weiterer Fluchttunnel.
Die rot markierte Linie zeigt den wiederentdeckten Tunnel. Die gestrichelten Linien zeigen die vermuteten Verläufe weiterer Fluchttunnel.

© Stephan Natz/Berliner Wasserbetriebe

Wer in Berlin einen Fluchttunnel besichtigen will, kann sich die Tunnelfluchten-Tour der Berliner Unterwelten anschauen. Darin sind auch originalgetreue Nachbauten zu sehen, die von Vereinsmitgliedern gebaut wurden. Zum diesjährigen Jahrestag des Mauerfalls am 9. November soll erstmals ein echter Fluchttunnel zu sehen sein. An der Brunnenstraße Ecke Bernauer Straße bauen die Unterwelt-Aktivisten zurzeit an einem Besuchertunnel, der zu einem echten Fluchttunnel führt. Auch der wurde kurz vor seiner Vollendung verraten.

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