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Stern der Weisen. Christa von Reuß mit Sylvia Moss und Synnove Duran. Das soziale Projekt Erzählstation soll jetzt ausgeweitet werden und hofft auf Spenden. Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Spendenaktion "Menschen helfen": Sag mal einer an

Alte Menschen benötigen mehr als nur Essen, Trinken, Medikamente. Ein einzigartiger Verein bittet Senioren zum Gespräch – und braucht Spenden.

Auf den ersten Blick wirkt die alte Dame ein wenig hilflos. Hat sie sich jedoch gesetzt und zu erzählen begonnen, merkt man, dass ihr Geist hellwach ist. Vor Christa von Reuß, 74, aus Wilmersdorf liegt ihre gelbe Mütze mit drei aufgedruckten schwarzen Punkten: das Blindenzeichen. „Manche fragen mich, ob ich zum Fußball gehe oder sie sagen: Das sind ja Katzenpfoten“, sagt von Reuß und lacht. Dabei ist es wichtig für sie, sofort klarzumachen, dass sie kaum hören und sehen kann. „Viele haben schon gedacht, dass ich nicht ganz richtig im Kopf bin, wenn ich zum Beispiel eine Frage falsch beantworte, weil ich sie nicht richtig verstanden habe.“

Neben die gelbe Kappe legt sie eine Fernbedienung, mit der sie ihre Hörprothese steuert. Von Reuß ist zu Besuch bei der Wilmersdorfer Fotografin Synnove Duran, 33, mit der sie viele Stunden Gespräch verbinden. Anfang des Jahres hatte von Reuß sich auf eine Annonce des Projekts „Erzählstation“ von Synnove Duran und den Theaterpädagoginnen Sylvia Moss, 50, und Andrea Bittermann, 48, gemeldet. Gefördert vom Programm Lokales Soziales Kapital des Europäischen Sozialfonds ließen sie 15 Senioren aus Charlottenburg-Wilmersdorf von 64 bis 98 Jahren aus ihrer Vergangenheit erzählen. Dann erstellten sie mit ihnen eine künstlerische Umsetzung der Lebensgeschichte, mit Fotos, Bildern, Gesprächsaufnahmen, Installationen, Performances. Zum Finale gab es eine Ausstellung im Nachbarschaftshaus am Lietzensee e. V..

Für Christa von Reuß war das ein Segen. „Dieser geistige Austausch, mal ein anderes Thema zu haben, das war herrlich“, sagt sie. Die drei Projektleiterinnen wollen damit auch Strukturen für die Zukunft schaffen. „Alle Welt spricht über die vielen alten Menschen. Wir wollen direkt etwas tun und etwas aufbauen, das uns vielleicht auch selbst hilft, wenn wir einmal alt sind“, sagt Sylvia Moss. Daher geht die Erzählstation jetzt in die nächste Runde. Gefördert wird sie wieder vom ESF – dieses Mal auch in den Bezirken Steglitz-Zehlendorf und Neukölln. Doch das Geld reicht längst nicht für alles.

Sylvia Moss nennt es ihre „große Vision“, Räumlichkeiten für einen Treffpunkt für alle Teilnehmer zu haben. Doch das ist Zukunftsmusik. Jetzt hofft sie erst einmal auf die Spenden der Tagesspiegel-Leser, um die Vereinshaftpflicht und Büroausstattung wie Rechner und Drucker finanzieren zu können.

Moss kam die Idee zur Erzählstation, als sie zwischen zwei Theaterprojekten für einen mobilen Dienst in der Altenbetreuung arbeitete. Dort wurde ihr bewusst, dass sich die Arbeit dort auf die minimale Befriedigung von Bedürfnissen beschränke. „Ich habe dafür gesorgt, dass etwas zu essen da ist und die Menschen gewaschen sind. Eigentlich aber war ihr größtes Bedürfnis: zu erzählen“, sagt Moss. Man wolle gehört werden. Auch Christa von Reuß kennt das Problem aus dem Bekanntenkreis. „Ohne den geistigen Austausch verkümmert man.“ Mit Duran habe sie auch über Kunst und Malerei gesprochen. „Das war herrlich.“

Auf dem Tisch vor ihr liegt ein weiterer Gegenstand. Er sieht aus wie ein Zippo-Feuerzeug, aber mit einer langen Schnur samt Kopfhörer: ein altes Taschenhörgerät. Von Reuß ist von Geburt an schwerhörig. Sie erinnert sich daran, wie sie das Gerät mit 14 Jahren zum ersten Mal getragen hat. „Das Kabel habe ich in meinem Pferdeschwanz versteckt.“ An das Gerät habe sie jahrzehntelang nicht mehr gedacht – bis die Gespräche mit Duran begannen. Mit alten Fotos und zugehörigen Texten, die sie auf Tafeln gedruckt haben, haben sie gemeinsam ihre Geschichte noch einmal erzählt. Im Sommer kann Christa von Reuß dann zur nächsten Ausstellung kommen und sich mit den neuen Teilnehmern austauschen. Infos zur nächsten Projektphase gibt es im Internet auf www.erzaehlstation-berlin.de und per Telefon 01573 956 03 10. Weitere Teilnehmer aus den beteiligten Bezirken können noch mitmachen, ab Januar sollen die ersten Gespräche starten. Franziska Felber

Spenden bitte an: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse (BLZ 100 500 00), Konto 250 030 942 - Namen und Anschrift für den Spendenbeleg notieren. BIC: BELADEBE, IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42

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