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Berlin: Spielbank Berlin: Komm, wir geben uns die Kugel

Berührungsängste löst Holger Tschersich auf seine Art: "Kommense mal ein bisschen näher, ich beiße nicht", lotst er die schweigende Menge, die sich kurz vor Mitternacht im Eingangsbereich der Spielbank am Potsdamer Platz eingefunden hat, an seinen Roulettetisch. Misstrauisch beäugen die Teilnehmer einer Night-Guide-Tour den blauen Spezialfilz mit den Zahlen und Feldern.

Berührungsängste löst Holger Tschersich auf seine Art: "Kommense mal ein bisschen näher, ich beiße nicht", lotst er die schweigende Menge, die sich kurz vor Mitternacht im Eingangsbereich der Spielbank am Potsdamer Platz eingefunden hat, an seinen Roulettetisch. Misstrauisch beäugen die Teilnehmer einer Night-Guide-Tour den blauen Spezialfilz mit den Zahlen und Feldern. Roulette-Erfahrungen haben die wenigsten, das will der 30-jährige Croupier in den nächsten 20 Minuten ändern.

Dass die Roulettekugel sich im so genannten Kessel dreht und hier nur mit Dummies, also keinen echten Jetons gespielt wird, ist schnell erklärt. Während die Nachtschwärmer an ihrem Gläschen Sekt nippen, verteilt Tschersich mit flinken Fingern Plastiktaler auf dem Feld, referiert über Manque und Passé, Plein und Cheval. Keine zehn Minuten später fiebern die Ersten am Tisch einem fiktiven Gewinn entgegen. Thomas H. aus Neukölln setzt alles auf die 13. "Nur hier kann man so hemmungslos sein", kommentiert der Croupier trocken den Risikoeinsatz des Spielanfängers. Als der dann auch alles verliert, zuckt er nur mit den Achseln. "Ich hätte schon mal Lust zu spielen, aber kein Geld", sagt der Student, und seine Freundin nickt. Britta Müller-Wünsch, die ebenfalls zum Lernen in die Spielbank gekommen ist, gibt sich dagegen begeistert. "Wenn die Einführung nicht gewesen wäre, hätte ich mich niemals hergetraut", gesteht sie und will nun unbedingt auch das Roulette mit echtem Einsatz kennenlernen.

So etwas hört Detlef Brose, Direktor der Spielbank Berlin, natürlich gern. Während im Saal mit den Automaten, den "einarmigen Banditen" und anderen elektronischen Geldgräbern, der Rubel rollt, geht das Geschäft an den Roulettetischen eher schleppend. 36 Millionen wurden dort im vergangenen Jahr umgesetzt, dieses Jahr sollen es, so alles gut geht, mindestens zwei Millionen mehr sein. Dazu sollen, so hofft Brose, auch Aktionen wie die Rouletteschule beitragen.

Das Geschäft der Zukunft wittert Brose dennoch eher im Automatenspiel. Das soll künftig noch attraktiver gestaltet werden. "Im Eingangsbereich werden wir eine Art Fun Area mit Spielen und Showküche einrichten", erzählt Brose, während er den Einführungskurs seines Roulette-Lehrers aufmerksam beobachtet. Acht Millionen Mark will sich die Spielbank, die erst 1998 in das neue Gebäude am Marlene-Dietrich-Platz eingezogen ist, den Umbau kosten lassen. Dass sich Anhänger der klassischen Roulettespiele dann jedesmal durch die schillernde Gamble-Atmosphäre arbeiten müssen, um zu ihrem Casino zu kommen, stört Brose nicht. Schließlich gäbe es ja noch einen Nebeneingang, der direkt zu den Fahrstühlen in die oberen Etage führe.

Der Eindruck, dass mehr Masse statt Klasse angesprochen werden soll, setzt sich beim Gang durchs Haus durch. Längst gibt es im so genannten Casino Royal keinen Kleiderzwang mehr. Vorbei die Zeiten, als man sich für das Spiel am Roulettetisch Schlips und Jackett leihen musste. Die Anfänger vom Übungsroulette finden sich wenig später in einer Atmosphäre wie auf einem Fährschiff zwischen Rostock und Malmö wieder. Unter aufdringlichen Lampen im Igeldesign kreisen Spieler in T-Shirt und Jeans, aber auch ältere Herren im hellen Anzug um die Roulettetische. Zwei junge Männer in ausgewaschenen schwarzen Klamotten beobachten das Spiel. Der eine entpuppt sich als Croupier der Spielbank Kassel. Er ist hergekommen, um zu sehen, wie es woanders läuft und vor allem, um selbst zu spielen. "Angestellte dürfen das ja nicht im eigenen Haus", sagt der 29-Jährige. Er selber sieht es lieber, wenn sich die Kundschaft auch ein bisschen schick macht, aber die Zeiten seien vorbei. "Man muss sich den Gästen anpassen und nicht umgekehrt". Auch in Kassel gäbe es mittlerweile Anfängerkurse, denn Roulette als Spiel käme immer mehr aus der Mode. Automatenspiel dagegen gewinne rasant an Marktanteil. "Das ist anonymer und die Leute müssen nicht kommunizieren", so der Kasseler, der seinen Namen nicht verraten will.

Das ist beim Roulette anders. Die jeweils vier Croupiers, die einen Roulettetisch betreuen, behalten nicht nur im Auge, wer was wo gesetzt hat, sondern sie geben auch Tipps. "Da werden sie nichts gewinnen", warnt ein Croupier eine ältere Spielern im Casino Leger, das dunkler und ungemütlicher wirkt, als das Royal eine Etage höher. Die Dame lässt ihren Einsatz denn auch lieber woanders platzieren. Und als sie gewinnt, überlässt sie dem Croupier großzügig ein paar Jetons als Trinkgeld.

"Das ist mein Lohn", erklärt Croupier Tschersich den Anfängern im Erdgeschoss. Ohne Trinkgelder würden die meisten Kollegen bald den Job hinwerfen, denn das karge Garantiegehalt der Spielbank reiche nicht zum Leben. So geben sich denn auch die meisten Croupiers gerne liebenswürdig, schlichten Streit, wenn sich zwei über ihren Gewinn uneinig sind und achten mit Argusaugen darauf, dass nicht jemand noch schnell seinen Jeton setzt, wenn die Titan-Kugel bereits ihr Feld gefunden hat. "Es gibt viele Leute, die in der Spielbank betrügen möchten", weiß der Experte. Deshalb rät er: "Am besten ist, Sie passen selber auf Ihr Geld auf." Vorausgesetzt, es ist noch nicht verloren.

Christine Berger

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