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Berlin: Sprachunterricht: Trotz 120 000 Polen in Berlin: Polnisch ist ein Nischenfach

Bis er 13 war, lebte Marek Mnynarczyk in Polen. Vor vier Jahren zog die Familie nach Berlin; inzwischen spricht Marek fließend Deutsch.

Bis er 13 war, lebte Marek Mnynarczyk in Polen. Vor vier Jahren zog die Familie nach Berlin; inzwischen spricht Marek fließend Deutsch. Um seine Muttersprache nicht zu verlieren, suchte er nach einer geeigneten Schule - und wurde fündig: Marek besucht die zehnte Klasse der Robert-Jungk-Oberschule in Wilmersdorf und lernt Polnisch als zweite Fremdsprache. Im Unterricht werden polnische Romane und Theaterstücke gelesen, politische Themen behandelt und natürlich Grammatik gepaukt. Selbst für ihn als gebürtigen Polen, sagt Marek Mnynarczyk, sei auch letzteres dringend nötig: "Man vergisst sehr schnell", sagt der 17-Jährige, "ich kenne viele Polen, die kaum noch komplexe Sätze sagen können - vom Schreiben mal ganz abgesehen".

Die Nachfrage scheint freilich begrenzt. Außer an der Robert Jungk-Oberschule wird polnisch nur noch am Tegeler Bülow-Gymnasium und an der vor drei Jahren gegründeten deutsch-polnischen Europaschule in Charlottenburg unterrichtet. Die Möglichkeit, Polnisch im Abitur zu belegen, besteht nicht. Ferner unterrichtet die Schule der polnischen Botschaft in Friedrichshain in der eigenen Sprache; der Schulverein "Oswiata" erteilt Unterricht an einigen Schulen. Doch auch wenn man alle Angebote zusammenzählt, kommt man lediglich auf ein paar hundert Schüler, die Polnisch lernen - in einer Stadt, in der mindestens 120 000 Polen leben und somit die zweitgrößte Minderheit nach den Türken bilden.

Nach Einschätzung polnischer Vertreter wäre der Bedarf ungleich größer, wenn es mehr Angebote gäbe: Wilmersdorf und Tegel seien für viele schwer zu erreichen, konstatiert Gernot Rybka von der Deutsch-Polnischen Gesellschaft, "uns erreichen immer wieder Nachfragen von Leuten, die gar nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen". Nach Rybkas Auffassung ist es allerhöchste Zeit, die Angebote auszubauen, aber auch transparenter zu machen. In einer Zeit, in der Berlin sich als Drehscheibe zwischen Ost und West verstehe sei es "undenkbar, dass Polnisch ein derartiges Nischenangebot ist". Schließlich bekämen nicht nur polnische Schüler auf Heimaturlaub "regelmäßig einen roten Kopf, weil sie kaum Polnisch können"; auch die deutsche Wirtschaft suche "händeringend" nach zweisprachigen Mitarbeitern. In Polen wiederum lerne inzwischen jeder vierte Schüler Deutsch.

Sowohl Rybka als auch Witold Kaminsky vom Polnischen Sozialrat verweisen aber auch darauf, dass Berliner Polen sich lange kaum als solche zu erkennen geben wollten. Rybka spricht von "Minderwertigkeitsgefühlen", davon, dass viele sich "bis zur Assimilation an die deutsche Umwelt angepasst haben". "Viele haben sich geradezu versteckt", konstatiert auch Kaminsky. Beide beobachten aber einen Trend zu mehr Selbstbewusstsein. Vielleicht, so Kaminsky, sei das eine "Trotzreaktion": "Wenn man ohnehin nicht anerkannt wird, nimmt auch die polnische Identität wieder zu." Andererseits sei nicht ausgeschlossen, dass Veranstaltungen wie die Frankfurter Buchmesse, die heute mit dem Schwerpunktthema Polen eröffnet wird, den Deutschen das Nachbarland auch kulturell näher bringe.

Jeannette Goddar

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