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Berlin: Spuk unter den Linden

Wenn Obama das gewusst hätte: Es gibt Gespenster am Brandenburger Tor. Ein Schauspieler fühlt sich in seiner Wohnung unwohl – und ruft die Geisterjäger.

Doch, das ist schon eine tolle Wohnung, sagt Bertan Colaker. Unter den Linden, Ecke Friedrichstraße, ein paar hundert Meter vom Brandenburger Tor entfernt, Balkon zur Straße und zum Innenhof, in Nachbarschaft von Designern, Wirtschaftsbossen und Bahnchefs. 200 Quadratmeter hat das Loft, das der 25-Jährige hier bewohnt. 6500 Euro Miete zahlt Colaker monatlich, der junge Schauspieler mit eigener Produktionsfirma und diversen anderen scheinbar gut laufenden Unternehmen. Man könnte sagen, dass eigentlich alles ganz gut hier ist, wäre da nicht dieses Problem, dass dazu führt, dass Colaker nachts gelegentlich panisch auf die andere Straßenseite läuft und im Westin eincheckt: Ein Geist in seiner Wohnung, sagt er. Es spukt.

Und deshalb schlagen Alexander Schollain und Ariane „Minckee“ Gerhold an diesem Mittwochabend schon zum zweiten Mal mit heiligem Ernst und großem Equipment in Colakers Wohnung auf: Geisterjäger bei der Arbeit, zur Nachkontrolle. Dass die zwei es ernst meinen mit dem Aufspüren paranormaler Phänomene, daran besteht kein Zweifel. Allein schon aus Kostengründen: Mehrere hundert Euro hat Schollain, Küchenchef, Mitte dreißig, in allerlei technische Gerätschaften gesteckt. In Kameras und Fotoapparate, mit denen er „Geisterflecken“ fotografieren will, helle Punkte an Stellen, wo sie nicht sein sollten. In Tonbandgeräte und die entsprechende Software sowie in ein Gerät zum Messen von elektromagnetischen Feldern, der Trifield Meter, „der Rolls Royce unter den Messgeräten“, sagt Schollain, der eher für den technischen Part der Geisterjagd zuständig ist.

Ums Emotionale kümmert sich Gerhold, 28 Jahre, erst Immobilienkauffrau, dann umgelernt auf Reiki-Meisterin und jetzt in der Lage, so dies und das wahrzunehmen. Zum Beispiel Geister, mit denen sie dann redet, wenn Schollains Geräte ausschlagen. Denn wenn der irgendwo elektromagnetische Felder registriert, wo vorher keine waren, dann waren Geister am Werk, so der Glaube. Und auf den Glauben kommt es an, und zwar so lange, bis dieser sich als Wissen gebärdet. Und deshalb hat Minckee bei ihrem ersten Besuch die Wohnung ausgeräuchert, woraufhin die Geisterei deutlich nachgelassen habe.

Dieser erste Besuch – er hat eine Vorgeschichte, erzählt Savas Erilban, Colakers 24-jähriger Assistent und Cousin. Bevor sie in ihrer Angst die Geisterjäger anriefen, begann es harmlos, aber das ist ja immer so am Anfang von Gruselgeschichtchen: knarrende Schränke, ein Klopfen im Flur. Dann wurden Kerzen durchgebrochen, Dosen fielen aus Küchenregalen und eines Abends stellte Hausherr Colaker auf der Toilette fest, dass da plötzlich Männerbeine in der Sauna zu sehen waren, durch die Glastür, neben dem Bad. Dann Flucht aus der Wohnung, ab ins Hotel, die herbeigerufene Polizei tippt auf schlechten Schlaf und zu viel Gras geraucht will hier auch keiner haben.

Aber jetzt sind ja Minckee und Schollain da, die Pforten der Wahrnehmung himmelweit aufgestoßen, und sie bringen schlechte Nachrichten: „Man hat mich gechannelt“, sagt Minckee und spielt ein Tonband vor, auf dem eine dunkle Stimme „Komm schon rein“ sagt. Das sei zwar ihre Stimme, sagt die Reiki-Meisterin, aber da habe sich etwas anderes über die Stimme gelegt, etwas Metallisches, und das war vorher nicht da und bearbeitet hätten die Geisterjäger die Bänder auch nicht. Bedeutet also: Geist im Haus, irgendwo in dunklen Ecken oder Fluren, und die Mittzwanziger machen große Augen, groß genug, um anzunehmen, dass die das hier tatsächlich alle ernst meinen und jetzt tatsächlich in Sorge sind, sich eine schweineteure Wohnung in einem Geisterhaus angedreht haben zu lassen.

Nur wer ist der Geist? Nicht auszuschließen, dass Kaiser Wilhelm II., laut Büste im Hinterhof bei der Grundsteinlegung mit von der Partie, hier sein Unwesen treibe, sagt Colaker. Minckee wirbt für Verständnis für die durchsichtigen Vormieter: „Für die ist das ja auch nicht schön, wenn da plötzlich jemand in ihrer alten Wohnung sitzt“, sagt sie. „Zumal die oft gar nicht wissen, dass sie tot sind.“

Um das in Erfahrung zu bringen, ist jetzt aber Untersuchung angesagt, Schollain legt seine elektrischen Geräte aus, Minckee die Hände an die Schläfen, Spannung in der Toilette. Natürlich ist das Licht gelöscht, nur Kerzen sind an, das mögen die Toten und spannt die Nerven der Lebenden. „Wert ist normal“, Schollain, Blick auf den Rolls Royce. „Ich biete an, du kannst jederzeit meine Energie ziehen“, Minckee. Es klappert. „Das war der Klodeckel“, Minckee. „Verdammt!“, Schollain. „Was ist denn los?“, die Mieter, durchaus nicht unpanisch. „Mich hat eine Mücke gestochen“, Schollain. Dann – Sensation: Die Zeiger schlagen aus, ein magnetisches Feld, Sekunden nur, dann wieder auf null, schlagartig. „Alles weg“, sagt Schollain, die Stimme fest.

„Ja, sorry“, mischt sich Erilban ein, „ich glaube, ich hab ihn verjagt.“ Ein türkisches Gebet habe er sich in Erinnerung gerufen, ein alter Tipp seiner Oma gegen böse Geister, und nun ist das Signal weg und Erilban durchaus froh, sich überraschend im Besitz eines mächtigen Zaubers zu wissen. Und so endet der Abend versöhnlich, nicht zuletzt auch für Kaiser Wilhelm. Denn so richtig es grundsätzlich sein mag, dem letzten Kaiser so einiges in die Schuhe zu schieben, als Poltergeist dürfte er diesmal ausscheiden. Türkisch sprach er nicht.

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