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Staatsoper: Der Dienstleister

Orchestermanager Thomas Küchler verantwortet, dass alles für den Ernstfall da ist: Musiker und Material.

Von Susanne Leimstoll

Ein Manager-Büro stellt man sich anders vor. Das Doppelzimmer 224/225 besteht aus einem Schreibzimmer, dahinter wirkt der Chef in einem Zimmerchen, in das durch ein Oberlicht kaum Helligkeit dringt. Wie viel Platz ist hier? Das hat Thomas Küchler sich noch nie gefragt. Er schreitet den Raum ab. „Vier mal drei?“, sagt er. Das reicht für einen kleinen Schreibtisch mit Bildschirm, einen Stuhl davor, einen dahinter, einen Unterschrank, voll bepackt mit Partituren. Er ist ohnehin ständig im Haus unterwegs, hastet, schlaksig, Notenblätter unterm Arm, treppab durch Keller und vollgestellte Gänge, treppauf zur Probe, zur Intendanz, zum Magazin, zum Orchestergraben. Beim Telefonieren am Schreibtisch blickt er auf Altmeister. Über der Büste von Richard Strauss antiquarische Fotos von Wilhelm Furtwängler, Leo Blech, Hans Knappertsbusch, Felix Weingärtner. Eine zufällige Auswahl. Nicht seine Generation, sonst hätte er wahrscheinlich auch mit ihnen gearbeitet. Dirigenten sind die direkten Ansprechpartner eines Orchestermanagers.

Seiner ist seit Jahren Daniel Barenboim, Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden. Mit wie vielen er gearbeitet hat in 37 Jahren Staatsoper, weiß er nicht. Hat sie nie gezählt, die ganz Großen und Newcomer, festen und Gastdirigenten. Wichtig ist Thomas Küchler nur, dass die Dienstleistung stimmte, die Organisation, sein Notfall-Management. „Ich habe dafür zu sorgen, dass wir in der richtigen Besetzung und der richtigen Qualität spielfähig sind“, erklärt er spröde seinen Job. „Wir sind ein gehobenes Dienstleistungsunternehmen für die Kapelle.“ Der Orchestermanager verantwortet, dass für jede Aufführung, jede Probe die richtige Anzahl Musiker antritt, je nach Können an der richtigen Stelle positioniert. Dass bei Ausfällen Ersatz da ist. Wenn für einen Erkrankten im Haus niemand einspringen kann, werden die Berliner Bühnen abgeklappert und dann Hamburg oder München. Kein Tag ohne Überraschungen.

Er verantwortet, dass das Equipment vollständig ist: Notenständer, Sitze, Instrumente, Noten. Er hat die meisten Besetzungen im Kopf. Was braucht Barenboim für die Mussbach-Inszenierung des Don Giovanni? Muss er nicht nachsehen: zehn erste Geigen, acht zweite Geigen, sechs Bratschen, vier Celli, drei Kontrabässe, zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, zwei Hörner, zwei Trompeten, drei Posaunen, Pauke, Mandoline. „Plus Bühnenmusik!“, sagt er und hebt den Zeigefinger. 17 Musiker, die zum Finale des ersten und zweiten Aktes auf der Bühne spielen – im Kostüm, ohne Noten.

Dann sind da noch die Formalitäten. Thomas Küchler schreibt die „Anforderungen“ an die Geschäftsführung, wenn Stellen im Orchester neu zu besetzen sind. Er lässt Stellen ausschreiben, bearbeitet Bewerbungen, lädt zum Vorspielen ein, sorgt für den richtigen Rahmen. Das kann monatlich zwei, drei Mal sein. So oft? „Von 15 bis 20 Anwärtern kommt vielleicht einer infrage. Und: In den letzten Jahren ist die Kapelle nahezu völlig ausgewechselt worden.“

Thomas Küchler ist ein Organisator mit großem Hang zur Muse. Der Sachse, vor 58 Jahren geboren in der „kulturliebenden Kleinstadt“ Crimmitschau bei Zwickau, Sohn kulturbegeisterter Eltern, studierte Gesang und Musik, sang im Opernchor von Chemnitz. Stimmlage? „Na, Tenor!“, sagt er gespielt entrüstet. Er schwärmt für Helge Rosvaenge, den Nachfolger von Richard Tauber in Berlin, einen Mann mit Bühnenpräsenz, mit Charisma. Beides, beschließt er früh, sei ihm selbst nicht gegeben. Der Orchesterdirektor der Staatskapelle Berlin holt ihn an die Staatsoper – als leitenden Orchesterwart. Später wird er Orchesterinspektor, dann Orchestermanager. Kein fremdes Terrain für Küchler. „Ich habe mich immer für alles interessiert: Beleuchtung, Orchesteraufbau.“ Und vor allem: Musik. Hunderte von Schellackplatten hat er auf Tonband überspielt, 1500 CDs und 400 Schallplatten in 30 Jahren gesammelt, Raritäten klassischer Musik. Er hat seine Lieblinge. Wenn er von ihnen erzählt, beginnt er zu strahlen.

Sein Beruf hat ihn mit den Stars unter den Dirigenten zusammengebracht. Das macht ihn ein wenig stolz. Reisen konnte er so schon zu DDR-Zeiten und heute, dank Barenboim, noch mehr: Australien, Neuseeland, Amerika, England, Frankreich, Schweden, Italien. 15 Mal war er in Japan. Auf diesen Reisen sieht er nichts vom Land, er sieht Konzerthäuser. Die Arbeit geht vor. „Ich reise ja nicht für mich“, sagt er. Jetzt war er erstmals an der Staatsoper in Peking.

An einem freien Tag sind sie zur Chinesischen Mauer gefahren. „Das hab’ ich mitgenommen“, sagt Thomas Küchler. Da strahlt er wieder. Susanne Leimstoll

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