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Berlin: Stadt der gerösteten Bohnen

Heute ist der erste „Tag des Kaffees“. Berliner haben ein besonderes Verhältnis zu dem Getränk

Berlin ist keine Kaffeestadt. Das meint zumindest der Schriftsteller Gerhard Rekel. Nirgendwo Kaffeehaus-Tradition wie in Wien. Das Café Kranzler sei „kastriert“. In den Sälen des ehemaligen Café Möhring am Ku’damm ist heute eine Modekette. In den Coffeeshops bekomme man zwar „ganz anständigen Kaffee“, aber nicht die richtige Atmosphäre – mit Bedienung, Samtsofas, geschwungenen Stühlen und genügend Zeitungen. Das kann einen Kaffee-und-Café-Liebhaber schon in den Wahnsinn treiben. Oder zu einem Attentat. Zumindest in der Phantasie eines Schriftstellers auf Koffein-Entzug wie Rekel. In seinem Roman „Der Duft des Kaffees“ wird ein Berliner Kaffee-Experte verdächtigt, aus Frust 300 Menschen mit einer manipulierten Kaffeemischung vergiftet zu haben.

„Nachdem mein Arzt mir das Kaffeetrinken wegen eines Magenproblems verboten hatte, habe ich mich eben auf andere Weise damit beschäftigt“, sagt Rekel. Vier Jahre recherchierte der Österreicher, der nach 15 Jahren Wiener Kaffeekultur nach Berlin gezogen ist, über die Bohnen und ihre Geschichte. Heute Abend liest er in der Blinis Espresso Lounge (Bergmannstraße 92, 21 Uhr) aus seinem Buch. Die Lesung gehört zu den Aktionen zum ersten „Tag des Kaffees“. In vielen Berliner Cafés und Kaffeegeschäften gibt es heute Vorträge, Röstvorführungen, Gratis-Kaffee und besondere Kaffee-Spezialitäten. Der Deutsche Kaffeeverband hat den „Festtag“ ins Leben gerufen. „Wir wollen, dass die Leute lernen, wie man Kaffee zelebriert und genießt“, sagt Holger Preibisch vom Kaffeeverband. Damit die Kaffeekunden mehr auf Qualität achten. „Den Berlinern ist der Preis oft wichtiger“, sagt Werner Kronawitter, Inhaber der Espresso-Lounge. Aber das ändere sich gerade. „Es gibt immer mehr Menschen, die nicht nur irgendetwas Braunes trinken wollen.“ Sondern seinen selbst gerösteten Kaffee. „Berlin entwickelt seit etwa fünf Jahren langsam eine Kaffeekultur.“

Dabei wurde der Klassiker unter den Getränken schon 1675 zum ersten Mal in Berlin getrunken – am Hof des Kurfürsten. 1721 wurde das erste Kaffeehaus eröffnet. Zu dieser Zeit konnten sich nur wohlhabende Berliner den orientalischen Trank leisten. 130 Jahre später war Kaffee zum Volksgetränk geworden. Bei ärmeren Leuten stand den ganzen Tag eine Kaffeesuppe mit Brotbrocken auf dem Herd.

Um 1900 habe es etwa 100 Kaffeeröstereien in Berlin gegeben, erzählt Karlheinz Rieser. Der 56-jährige Kaffeeröster wird von einigen in der Branche „Kaffeepapst“ genannt. Seit mehr als 20 Jahren ist er Bohnen-Experte und beobachtet, wie sich das Verhältnis der Berliner zum Kaffee immer wieder veränderte: „Vor 15 Jahren gab es fast keine Röstereien mehr. Kaffee war ein sterbendes Getränk – nur von alten Leuten konsumiert.“ Doch dann „schwappte die Welle der Coffeeshops aus Amerika herüber“. Rieser schätzt, dass es inzwischen rund 700 Cafés und Coffeeshops in der Stadt gibt. Außerdem eröffneten seit Ende der Neunziger immer mehr kleine Ladenröstereien. Wie die von Alexander Sager. Er röstet seit April in Charlottenburg. Am liebsten seinen „fair gehandelten“, peruanischen Gourmet-Hochland-Kaffee aus Bio-Arabica-Bohnen. „Der kommt bei den Berlinern gut an, weil sie Freidenker und Genießer sind“, meint Sager.

Wahre Genießer trinken meist mit Muße eine Latte Macchiato. Das hat Katrin Pospischil vom Coffeeshop Lagano in Mitte beobachtet. Sie ist Siegerin der letzten Barista-Meisterschaft in Berlin und damit beste Kaffeekocherin der Stadt. Espressotrinker seien dagegen oft Businessmenschen im Anzug, die den schnellen Kaffee zum Aufputschen bräuchten. „Von denen gibt es besonders viele in Mitte“, sagt die 27-Jährige. Wer bei ihr Kaffee mit Soja-Milch ordert, ist meist weiblich und kommt gerade aus dem Fitness-Studio um die Ecke. Das besondere am Kaffee sei seine Vielfalt, meint sie: „Und Vielfalt ist auch das Besondere an der Berliner Café-Kultur: Von Alternativ über klassisch bis stylisch, ist für jeden Geschmack etwas dabei.“ Zu entdecken heute – am Tag des Kaffees.

Das ganze Kaffee-Programm für heute unter www.tag-des-kaffees.de

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