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Berlin: Stadt der Verführung

Mit Magneten hatte man auf dem Studiogelände nach Nägeln und Schrauben für „Metropolis“ gesucht. Niemand konnte Fritz Lang vorwerfen, er habe nicht zu sparen versucht. Dennoch wurde sein Entwurf der Zukunft zu einem finanziellen Desaster. Die Vision aber hatte Bestand und wirkte in neuen Filmen fort – von „Blade Runner“ bis „Matrix“

Wochenlang hatten die Modellbauer der Babelsberger Filmstudios an der Kulisse für die Stadt Metropolis gebastelt, an Rampen, Hochhausfassaden, Tunneln, Straßen und Bürgersteigen. Hatten Drahtseile gespannt und an ihnen feine Haarfäden befestigt, an denen die kleinen Modellflugzeuge durchs Bild schwebten sollten. Das Modell war maßstabgerecht und mehr als mannshoch. Und – Baumaterial war in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg knapp und teuer – es bedeutete einen ziemlichen Luxus. Erich Kettelhut, einer der Filmarchitekten, erinnert sich, wie er eine Freiwilligenbrigade älterer Leute und Kriegsinvalider mit Magneten über das Studiogelände schickte, um rostige Nägel und Schrauben einzusammeln, die gerade geklopft und wiederverwendet wurden.

Endlich stand die „Hauptstraße“, wie Kettelhut sein Modell nannte. Zwei Wochen lang musste nun geprobt werden. Denn was im fertigen Film wenige Drehsekunden einnehmen sollte, war ein äußert aufwändiger Prozess. Bild für Bild mussten die winzigen Flugzeuge, Autos, Schnellbahnen und Fußgänger per Hand verschoben werden, um die Illusion von Bewegung zu erzeugen. Werkfotos zeigen Techniker, die Modellautos mit kleinen Stöckchen weiterrücken. Denn Kettelhut – wie Regisseur Fritz Lang ein Perfektionist – hatte genau berechnet, wie weit die Modellteile von Bild zu Bild bewegt werden mussten: Flugzeuge um eineinhalb Zentimeter, Schnellbahnen um einen Zentimeter, Autos um einen Dreiviertelzentimeter und Fußgänger nur minimal. 15 Filmmeter sollten am Ende entstehen, das bedeutete 1500 Einzelbilder. Und 1500 Handgriffe. So archaisch entstand die Stadt der Zukunft.

Kein Wunder, dass bei diesem Aufwand „Metropolis“ für die Ufa ein finanzielles Desaster wurde. Angesetzt auf 1,5 Millionen Reichsmark, wurde der Film mit Drehkosten von 6 Millionen einer der teuersten der deutschen Filmgeschichte. Gedreht wurde vom Mai 1925 bis zum Juli 1926 auf dem Gelände der Ufa in Neubabelsberg und in der ehemaligen Zeppelinhalle in Staaken: 310 Drehtage, 60 Nächte. 36000 Statisten, darunter 750 Kinder, 110 Kahlköpfe, 100 Schwarze und 25 Chinesen, meldete die Presseabteilung der Ufa, dazu 3500 Paar Schuhe, 75 Perücken und 50 speziell angefertigte Automobile. Am 10. Januar 1927 war feierliche Premiere im Berliner Ufa-Palast am Zoo, im Zuschauerraum saßen nicht weniger als 1200 Zuschauer, darunter Reichskanzler Wilhelm Marx, mehrere Minister, ausländische Botschafter und Mitglieder von Königshäusern.

Allein: Die ersten Reaktionen waren alles andere als begeistert. Schnell verschwand der Film aus den deutschen Kinos, wurde – gemäß einem Abkommen zwischen Ufa und Paramount – nach Amerika verschifft und dort massiv gekürzt. Diese Kurzversion kam im Sommer 1927 noch einmal in die deutschen Kinos – und fiel wiederum durch.

Schon die Premierenbesucher und die ersten Kritiker hatte die Geschichte von Freder (Gustav Fröhlich) und Maria (Brigitte Helm), von der Versöhnung zwischen Kapital und Arbeit befremdet. Diese Vision einer zweigeteilten Stadt, in der die Herren in Hochhäusern, die Arbeiter tief unter der Erde wohnen; in der ein Roboter in der Gestalt der engelhaften Maria die Arbeiter zur Revolte verführt und eine Katastrophe auslöst – bis zum großen Friedensschluss zwischen Oben und Unten. Doch trotz aller Einwände: Eins hat alle begeistert. Die Vision einer Stadt der Zukunft.

Trivial, schwülstig, schwerfällig sei die Geschichte, die Drehbuchautorin Thea von Harbou entworfen hat, kritisierte etwa der Filmregisseur Luis Bunuel, pries aber die Arbeit des Filmarchitekten. „Andererseits aber: was für eine begeisterte Symphonie der Bewegung! Otto Hunter überwältigt uns mit seiner großartigen Vision der Stadt des Jahres 2000. Sie mag falsch, ja sogar altmodisch sein, wenn man die neusten Theorien über die Stadt der Zukunft in Betracht zieht; aber unter dem Gesichtspunkt der Photogenie finden ihre emotionelle Kraft, ihre neuartige und überraschende Schönheit nicht ihresgleichen.“

Mit dieser Stadt-Vision hat „Metropolis“ Geschichte geschrieben, weit über das Jahr 2000 hinaus. „Metropolis“, das ist der ultimative Großstadtfilm, der noch in jüngsten Science-fiction-Produkten sein spätes Echo findet. Es ist aber auch der Film, der mehr als jeder andere von den Erfahrungen der noch jungen Großstadt Berlin in den zwanziger Jahren lebt. Denn die Leidenschaft, mit der sich Fritz Lang und seine Filmarchitekten an die Konstruktion einer modernen Hochhausstadt machten, kam nicht von ungefähr. 1921 hatte in Berlin ein Wettbewerb für die Bebauung des Geländes nördlich des Bahnhofs Friedrichstraße stattgefunden. Alles, was in der zeitgenössischen Architekturszene Rang und Namen besaß, von Hans Poelzig über Hans Scharoun bis Mies van der Rohe, hatte sich beteiligt: Über 140 Einsendungen verzeichnet die „Turmhaus Aktiengesellschaft“, die den Wettbewerb ausgelobt hatte. Ganz Berlin diskutierte über die Entwürfe, Zeitgenossen sprachen 1921 von einem regelrechten „Hochhausfieber“.

Auch Fritz Lang, architekturbegeistert wie er war, wird diese Diskussionen verfolgt haben. Vieles in den „Metropolis“-Vorzeichnungen, vor allem jedoch das alles überragende „Turmhaus“, erinnert an die Friedrichstraßen-Entwürfe. Den eigentlichen Anstoß für die Stadtvision Metropolis jedoch gab ein Besuch des Regisseurs in New York. Im Oktober 1924 reiste Lang mit seinem Produzenten Erich Pommer zur US-Premiere von „Die Nibelungen“. Wegen Visumsschwierigkeiten mussten Lang und Pommer eine Nacht länger an Bord der „S.S. Deutschland“ im Hafen von New York verbringen – und sahen am Abend die erleuchtete Skyline. Lang erinnert sich: „Ich sah eine Straße, durch Neonlampen taghell beleuchtet, und, alles überragend, ständig wechselnde, an- und ausgehende, spiralförmige, riesige Leuchtreklamen. Für einen Europäer war das damals völlig neu und märchenhaft. Dieser Eindruck gab mir die erste Ahnung von einer Stadt der Zukunft.“ Die Vision von Metropolis, so will es die Legende, war geboren.

Sie ist bis heute gültig, in fast jedem Science-Fiction-Film: Seien es die fliegenden Taxis, die Luc Besson in „The Fifth Element“ wieder aufnimmt, oder die Hochhausbauten von Gotham City, sei es die finstere Stadtvision von „Blade Runner“ oder die verheißungsvoll leuchtende weiße Stadt in George Lucas’ „The Empire Strikes Back“ – überall erkennt man die Hochhausstadt Metropolis wieder. Nur, dass sie in den Filmen neueren Datums eindeutig als Fiction gekennzeichnet wird: Etwa, wenn die Hochhausfassade, in die im ersten „Matrix“-Film ein Hubschrauber gekracht war, sich nach einigen Wellen wieder gerade zieht – es war nur eine Computerkonstruktion. Oder, wenn in Alex Proyas „Dark City“, die Wolkenkratzer per Computermorphing in Windeseile hochgezogen werden. Das sind Möglichkeiten, von denen Erich Kettelhut mit seinen Modellautos nur träumen konnte.

Christina Tilmann

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