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© dpa

Stadtentwicklung: Sehen wir uns am Neuen Markt?

Schlossterrassen, Molkenmarkt oder Petriplatz – viele Ortsmarken des historischen Stadtgrundrisses sind durch Krieg und DDR-Kahlschlag verschwunden. Berlin läuft Gefahr, dass Politik und Stadtentwicklung die historische Chance verspielen, diese zentralen Orte wiederherzustellen.

Wer sich in Hamburg oder München auf dem Rathausplatz, in Köln auf dem Alten Markt oder sagen wir mal in Stuttgart auf dem Schlossplatz verabredet, der braucht keinen wissenschaftlich ausgebildeten Stadtführer, um den Ort zu finden. In Berlin ist bekanntlich alles anders. Sucht man die Plätze in den (ehemaligen) Altstädten samt dem Schloss, wird es kompliziert. Diese Plätze sind nach der Teilung Berlins samt Schloss, Bauakademie und Petri-Kirche verschwunden. Auch als Einheimischer braucht man einen Stadtplan aus der Zeit vor 1945, um etwa den Schlossplatz am Rande der neu angelegten „Berliner Wiese“ zu verorten. Dies gilt auch für den Petriplatz, den Neuen Markt vor St. Marien oder den Molkenmarkt in der Nähe des Stadthauses.

Wenn es nach dem Willen des Senats geht, soll es bei diesem gleichermaßen erinnerungs- wie platzlosen Zustand in der Altstadt bleiben. In einer Mitteilung an das Abgeordnetenhaus vom Juli dieses Jahres heißt es dazu unter der Überschrift „Stadtentwicklungspolitische Grundsätze zur Gestaltung des grüngeprägten öffentlichen Stadtraums zwischen Spree und Alexanderplatz“: „ Berlin verfügt im Stadtzentrum zwischen Spree und Alexanderplatz über einen großen Freiraum, der zwar räumlich klar definiert wird durch die Rathaus- und die Karl-Liebknecht-Straße sowie durch die Stadtbahn und das zukünftige Humboldtforum, der aber keinen gängigen Namen besitzt. Er wird in den folgenden Darstellungen als ’Rathausforum’ bezeichnet. Der Namenvorschlag soll anklingen lassen, dass der Freiraum zwar vor fast zwanzig Jahren seine Bedeutung als Zentrumsbereich der Hauptstadt der DDR verloren hat, aber seither als Stadtraum am Roten Rathaus eine neue Bedeutung für Berlin als Bundesland und Kommune übernommen hat.“

Das namenlose Fragment des ehemaligen DDR-Staatsraumes wird aber auch durch diese neuerliche reformatorische Umtaufe in ein „Rathausforum“ nicht zu „dem Ort im Zentrum Berlins“, auch wenn hier angeblich ein „Panoramablick auf Zeugnisse aus 750 Jahren Stadtgeschichte möglich ist“. Angesichts der Tatsache, dass hier mit Ausnahme der einsamen St. Marienkirche lediglich das hilflose Arrangement der DDR eines Marx-Engels-Forums und der Neptunbrunnen zu sehen sind, wünscht man sich zwanzig Jahre nach dem Mauerfall weniger verquastes Planerdeutsch und klarere politische Aussagen über den Umgang mit einem Kernbereich der Berliner Altstadt. Immerhin waren selbst nach der Fertigstellung des Fernsehturms (1969) der Neue Markt, die Heiligegeist-Straße etc. noch gut erkennbar und etliche gut erhaltene Gebäude warteten auf den Abriss. Vierzig Jahre später stellt sich die Frage, ob Martin Luther wirklich für alle Zeiten auf dem Nordteil des Marienkirchhofes verbleiben soll oder nicht doch, wie die Gemeinde es wünscht, wieder auf seinem angestammten Platz auf dem Neuen Markt vor der aus dem 13. Jahrhundert stammenden Pfarrkiche St. Marien aufgestellt werden sollte? Und was würde dann mit dem Neptun-Brunnen passieren ? Ermöglichte das Nebeneinander von Schlossbrunnen, Luther-Denkmal und dem schräg gegenüberliegenden Marx-Engels-Denkmal dann immer noch einen qualitätsvollen „Panoramablick auf Zeugnisse 750 Jahre Stadtgeschichte“ oder würde das Ergebnis nicht eher ein Blick in die Gruselkammer jüngster Berliner Stadtbaugeschichte sein? Sprachlich eleganter verglich Kurt W. Forster diesen Stadtraum bereits 1993 mit den frühen Raumdarstellungen Giorgio de Chiricos. „Wie die Bilder de Chiricos versetzt auch diese städtische Bühne alle ihre Objekte in eine Art historischen Stillstand.“ Zur Attraktivität des Bildes sollen nach dem Willen des Senats schließlich noch „archäologische Fenster“ mit Blick auf die Fundamente besonders bedeutender ausgegrabener Bürgerhäuser beitragen. Dabei geht es an dieser Stelle nicht um Archäologie, sondern um eine entwurfliche Auseinandersetzung mit den Brüchen und Zerstörungen seit der Mitte der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts an deren Ende, wenn es gut geht, so etwas wie ein Ensemble schöner Plätze und Straßen mit zeitgenössischer Architektur entstehen könnte.

Wenn die Aussicht auf eine Zukunft des historischen Zentrums Berlins als Rathausforum mit archäologischem Fenster nicht so deprimierend wäre, könnte man einen solchen „Panoramablick“ den Besuchern des Humboldtforums vielleicht als Berliner Open-Air-Beitrag zum Thema „Kulturen der Welt“ anbieten. Was außer einer geistig-politischen Blockade spricht eigentlich gegen eine Rekonstruktion des in der Mitte des 13. Jahrhundert angelegten, zuletzt begrünten Neuen Marktes mit Luther-Denkmal? Und warum entschließt sich der Senat nicht zur erstmaligen Anlage eines angemessen dimensionierten Rathausplatzes mit den beiden optimistischen Bauarbeiterplastiken sowie mit schönen und vielleicht sogar etwas repräsentativen U-Bahneingängen? Und ist es nicht naheliegend, den Schlossbrunnen wieder auf den Schlossplatz zu positionieren, um so dem Humboldtforum von Franco Stella einen attraktiven Blickpunkt zu verschaffen? Und ist nicht eigentlich die Rekonstruktion der Schlossterrassen auf der Lustgartenseite mit den Rossbändigern (Peter Jacob Cloth) logischer Teil des Schlossbauprogrammes?

Stattdessen wird für den Schlossplatz und das weitere Umfeld derzeit ein Wettbewerb vorbereitet, wahrscheinlich mit der unausgesprochenen Begründung, wenigstens bei der Platzgestaltung der architektonischen Sprache unserer Zeit eine Chance zu geben. Was spricht eigentlich gegen eine Art Kritische Rekonstruktion der Schlossaußenräume nach dem Vorbild des Schinkel-Platzes?

Gut, dass wenigstens der Schinkelplatz vor der Bauakademie wieder entsteht. Dieser für eine Altstadt relativ junge, d. h. 1860 nach den Plänen von P. J. Lenné angelegte dreieckige Platz wird von der Gartendenkmalpflege samt seinen drei Denkmälern (Schinkel, Beuth, Thaer) gerade rekonstruiert. Seit Errichtung von Schinkels Bauakademie (1831– 1836) war der Platz am Spreekanal bis zum Abriss im Jahr des Mauerbaus 1961 Teil einer raffinierten Platzfolge auf dem (1662) innerhalb der Stadtbefestigung angelegten Friedrichswerder.

Den Mittelpunkt dieser ersten Stadterweiterung bildete der Werdersche Markt mit der ebenfalls von Schinkel gebauten Kirche, der 1799 von Gentz errichteten Münze und dem 1849 von Hermann Gerson erbauten ersten Berliner Kaufhaus. Vom Werderschen Markt gelangte man über die Schleusenbrücke und die Straße „An der Stechbahn“ zum Schlossplatz und von hier aus über die Brüderstraße vorbei am Nicolaihaus zum Petriplatz.

Die durch die Bauten Schinkels dominierte Platzfolge überstand auch die Zerstörungen am Ende des Zweiten Weltkrieges, nicht aber die Planungen für Berlin als „Hauptstadt der DDR“. Obwohl der Wiederaufbau der Bauakademie 1952 nach den Plänen von R. Paulick bereits begonnen hatte, wird sie ab 1961 für den Bau des Außenministerium der DDR abgebrochen. Mit der Bauakademie als geometrischem Drehpunkt verschwanden aber auch die beiden Plätze.

Der programmatisch als Marx-Engels-Platz bezeichnete „zentrale Platz“ zwischen dem Alten Museum und Staatsratsgebäude hatte entsprechend den 1950 in der DDR verabschiedeten Grundsätzen des Städtebaus ausdrücklich keine städtische Funktion, sondern war als Ort für „politische Demonstrationen und Aufmärsche“ des autoritären Einheitsparteienstaats angelegt. Auch wenn diese Geste eines totalitären Herrschaftsanspruches zuletzt in der profanen Nutzung eines Busparkplatzes vor dem „Palast der Republik“ endete, verschlang sie doch drei Plätze sehr unterschiedlichen Charakters: den Werderschen Markt, den Schinkelplatz, den Schlossplatz, die Schlossterrassen und dem Kleinen Platz vor dem Apothekerflügel, auf der anderen Seite den Lustgarten und zum Nachtisch noch die Bauakademie. Nur die Friedrichwerdersche Kirche blieb erhalten, verkam jedoch zum isolierten Objekt an der Rückseite des DDR-Außenministeriums. Opfer dieses von Bruno Flierl „Staatsforum der DDR“ genannten Raumes wurde auch der störende 1891 auf dem Schlossplatz aufgestellte Neptunbrunnen (R. Begas). Der Mittelpunkt des Marx-Engels-Platzes sollte auf keinen Fall die in Anlehnung an Berninis Vierströmebrunnen in Rom von R. Begas entworfene und 1891 als Geschenk der Stadt enthüllte neobarocke Brunnenkomposition, sondern ein Marx-Engels-Denkmal bilden.

Gedacht war an eine Aufstellung im Bereich des Kaiser-Wilhelm-Denkmals. Auf den Bau dieses Marx-Engels-Denkmals, das dem Staatsforum der DDR immerhin einen postwilhelminischen Sinn gegeben hätte, wurde jedoch später zugunsten der Aufstellung im sog. Marx-Engels-Forum auf der Altstadtseite verzichtet. Seit 1986 bildete das Denkmal als Mittelpunkt eines „in Riesendimensionen aufgeblasenen Kleinbürgerparks“ zusammen mit dem 1969 aufgestellten Neptunbrunnen eine Art Staatsachse zwischen dem Palast der Republik und dem Fernsehturm mit der geradezu dekonstruktivistisch eingestellten und leicht abgesenkten Kirche von St. Marien. Auf diesen namenlosen Raum konzentriert sich nach der Entscheidung für das Humboldtforum die aktuelle politische Debatte mit der Fragestellung Rekonstruktion „Neuer Markt“ und Wiederaufstellung des Luther-Denkmals oder Weiterentwicklung der Staatsachse zu einem „Rathausforum“.

Doch zurück zum Marx-Engels-Platz, der nach dem Fall der Mauer offenbar ohne Blick auf einen alten Stadtplan in Schlossplatz unbenannt wurde. Immerhin erinnerte diese falsche Namensgebung daran, dass auf dem neuesten Schlossplatz bis 1950 das Schloss gestanden hat. Auch solche Namensgebungen sind letztlich ein Zeichen für den Zustand fortgeschrittener Amnesie.

Zu den von den Verteidigern der Anlage des „Staatsforums“ der DDR gerne übersehenen Folgen gehört nicht nur die Abriegelung der auf den Schlossplatz einmündenden Brüderstraße durch das Staatsratsgebäude, sondern die Auslöschung des Stadtgrundrisses von Cölln mit dem Bau einer stadtautobahnähnlichen Hauptverkehrsstraße. Die Straße begräbt die alte Gertraudenstraße, den Petri-Kirchplatz und Cöllnischen Fischmarkt unter einem achtspurigen Asphaltband, so dass von der ursprünglichen Platzgestaltung in Cölln, der beiderseitigen Bebauung der Gertraudenstraße und der platzartigen Erweiterung vor dem Mühlendamm nichts mehr zu erkennen ist.

Natürlich ist diese brutale Stadtzerstörung zur äußeren Erschließung des Staatsforums der DDR als ein Teil der straßenplanerischen DDR-Moderne auch Geschichte in einer Form, wie sie sich auf der anderen Seite der Mauer abspielte. Aber ist dieser Teil der Geschichte jenseits seiner straßenverkehrlichen Funktion als großzügige Ost-West-Durchquerung durch die beiden Altstadtkerne stadtbaukulturell so bedeutsam, dass man auf jede Art von Vergegenwärtigung des ehemaligen Stadtgrundrisses verzichten soll? Die Frage stellt sich um so dringender, als inzwischen der Gemeindekirchenrat von St.Petri/St. Marien den Bau eines neuen Kirchengebäudes am historischen Standort Petriplatz beschlossen hat.

Mit der Auslöschung der genannten Plätze für das Staatsforum der DDR im näheren Umfeld des Schlosses war der Prozess der Transformation der Stadt in einem Raum des Staates und damit das Verschwinden weiterer Stadtplätze leider noch nicht abgeschlossen. Im Gegenteil, in Altberlin stand das eigentliche Drama mit dem Durchbruch der Grunerstraße durch Altberlin in Richtung Molkenmarkt und die Anlage des Marx-Engels-Forums zwischen Fernsehturm und Spree noch aus. Geopfert wurden für diese Maßnahmen nicht nur die von den Bomben des Krieges verschonte Bebauung, sondern der älteste Platz Berlins: der Molkenmarkt.

Zugegeben, der Molkenmarkt war auch schon im Mittelalter eine Art Verkehrsknoten. Hier teilten sich von Cölln kommend die Wege zum Spandauer und zum Stralauer Tor. Trotz gewaltiger Veränderung der Bebauung und wachsendem Verkehr blieb der Platz jedoch als Raum bis in die frühe NS-Zeit erhalten. Erst nach den Plänen des Generalbauinspektors sollte vor dem Stadthaus auf Kosten eines Baublockes ein neuer Molkenmarkt und das die Altstadt sprengende Verwaltungszentrum Berlins entstehen. Als Teil der Bauvorbereitung wurden dazu große Teile der Bebauung zwischen Molkenmarkt und Jüdenstraße abgerissen. Der Grundriss des Platzes blieb jedoch bis in die sechziger Jahre erhalten. Seitdem (also seit der NS-Zeit) befindet sich das Stadthaus gut sichtbar in einer stadträumlichen Position, als sei es vom Architekten Ludwig Hoffmann wie ein auf eine Achse ausgerichtetes Schloss geplant.

Dieser Eindruck hat sich besonders nach weiteren „Freilegungen“ im Zuge der DDR-Straßenplanung, die auch den Platz selber unterpflügte, verstärkt. Die Versuche, mit dem Planwerk von 1996/99 den alten Platz und die irreführende stadträumliche Ausrichtung zugunsten einer Wiederaufnahme der Jüdenstraße wieder zu beseitigen, scheiterte am Widerstand der Straßenverkehrslobbyisten im Senat. Erst fünf Jahre nach der Beschlussfassung zum Planwerk wurde im April 2004 ein Konzept vorgelegt, das diese durch rücksichtslose Enteignungen und Abrisse erfolgte Freilegung wieder rückgängig zu machen versuchte. Auch der Molkenmarkt sollte als Stadtraum wieder sichtbar werden. Der Gründungsort Berlins hätte so zwar nicht als Marktplatz, aber doch als großstädtischer dreieckiger Verkehrsplatz mit dem Namen Molkenmarkt die Stadtgeschichte vergegenwärtigt.

Die Hoffnung, dass nach dem Ende der Großen Koalition in einer rot-roten Stadtregierung die kritische Rekonstruktion dieses Platzes möglich sei, erfüllte sich leider nicht. Zwar wurde ein teilweiser Rückbau der Grunerstraße beschlossen, der Molkenmarkt bleibt aber auch in der neuen Koalition unter dem Asphalt verschwunden. Und es kommt noch schlimmer. Der Koalitionspartner – Die Linke – beharrte zunächst darauf, den in der NS-Zeit abgeräumten Block zwischen Jüdenstraße und Molkenmarkt gänzlich unbebaut zu lassen. Schließlich einigten sich die Koalitionäre im Juli 2009 auf Druck der Linken auf die Anlage eines noch namenlosen Platzes vor dem Stadthaus.

Dabei ist der jetzt verabredete Straßenverlauf mit seinen verkehrsdynamischen Rundungen trotz anderslautender Aussagen eine völlig aus der Zeit gefallene tiefe Verbeugung vor dem Straßenverkehr. Einer Stadt aber, die sich nach dem Fall der Mauer wieder in die Tradition europäischen Städtebaues gestellt hat, sollte die Wiedergewinnung seiner historischen Plätze als Orte ihrer besonders im 20. Jahrhundert dramatischen Geschichte ein besonderes Anliegen sein. Nach dem Abriss der Häuser erzählen schließlich nur noch die Plätze mit ihren unterschiedlichen Dimensionen, Formen, Namen, Denkmälern und Brunnen von den gesellschaftlichen Verhältnissen Berlins vor der Überformung der Altstädte zum Staatsraum der DDR.

Wer Befürchtungen hegt, die Planungspolitik dieser gerne DDR-Moderne genannten Periode sei nach der Wiedergewinnung der Plätze von nachfolgenden Generationen nicht mehr erlebbar, dem empfehle ich einen Blick auf die unübersehbare architektonische Prägung dieses Raumes durch die Bebauung an der Rathaus- und Karl-Liebknecht-Straße sowie durch den die Stadtsilhouette auch zukünftig dominierenden „Turm der Signale“ (H. Henselmann). Seine Wirkung entfaltet der Fernsehturm zur räumlichen Fixierung des Zentrums von Berlin, in der Fernsicht auch der Wiedergewinnung der Altstadtplätze. Im historischen Zentrum angekommen, träfe man sich dann in ein paar Jahren wie in Hamburg, München, Köln oder Stuttgart auf den Plätzen und Märkten, die die Stadt über Jahrhunderte prägten. Sehen wir uns am Neuen Markt? 

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