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Die Hufeisensiedlung in Britz wurde zwischen 1925 und 1933 nach den Plänen des Architekten Bruno Taut gebaut. Sie ist heute Welkulturerbe.

© Stadtmuseum Berlin

Stadtgeschichte erleben trotz Lockdown-Light: Wo man jetzt trotz Coronavirus ins alte Berlin reisen kann

Facettenreich schildert die Ausstellung „Chaos & Aufbruch“ die Gründung Groß-Berlins vor 100 Jahren - dank 3-D-Rundgang auch virus-konform. Und was gibt's noch?

Es kommt eigentlich nie vor, dass man ein Museum ganz für sich allein hat. Selbst Staatsgäste, wenn sie denn den Wunsch auf ein Tête-à-Tête mit Nofretete äußern, werden mit ihr doch nie wirklich allein sein, sondern müssen interessiert den Erläuterungen des zuständigen Sammlungschefs lauschen. Dabei würden sie vielleicht viel lieber Zwiesprache mit dem Geist der Pharaonin halten.

Immerhin, es gibt die Angebote im Internet, Rundgänge am Bildschirm, die den ungestörten Genuss der dargebotenen Schaustücke erlauben, seien sie altägyptisch oder was auch immer. Ein Notbehelf, gewiss, aber in den Zeiten der geschlossenen Türen doch geboten, will man dieser Art der geistigen Anregung nicht ganz entbehren.

Mit solch einem neu erstellten Angebot wartet jetzt auch das Stadtmuseum Berlin auf. Dessen Highlight ist momentan die Ende August eröffnete Ausstellung „Chaos & Aufbruch – Berlin 1920/2020“ im Märkischen Museum. Bis Ende Mai schildert sie facettenreich die Gründung Groß-Berlins vor 100 Jahren, schlägt aber zugleich den Bogen in die Gegenwart, verknüpft also zwei Zeitebenen, stets unter der übergeordneten Frage: Wie kann Großstadt gelingen?

Die lange Laufzeit macht Hoffnung, dass man die Berlin-Schau, wenngleich mit Maske, doch noch einmal besuchen kann, dann wieder mit anderen Schaulustigen. Momentan ist es nur virtuell möglich, maskenfrei und ungestört, sogar in 3-D – ein Rundgang durch die Ausstellungsräume.

Gleich zu Beginn geht es in in die Große Halle mit der Installation von Chengyu Hsieh und den Hinweistafeln auf die parallelen, virtuell verlinkten Projekte der Bezirke. Später dann verharrt man vor den Schaukästen mit den präparierten Körpern von Tieren, deren Artgenossen seit 1920 aus der Stadt verschwunden sind, bald verschwinden werden oder neu sich hier angesiedelt haben.

Die Hufeisensiedlung heute: Sie gehört seit 2008 zum Unesco-Weltkulturerbe.
Die Hufeisensiedlung heute: Sie gehört seit 2008 zum Unesco-Weltkulturerbe.

© picture-alliance/ dpa

Es zeugt schon von einer gewissen Boshaftigkeit des Coronavirus, dass es Berlin und den Rest der Welt ziemlich genau ein Jahrhundert nach der ebenfalls pandemischen, wenngleich weitaus tödlicheren Spanischen Grippe lahmlegt und nebenbei gleich zwei hiesige Jubiläen vermasselt: neben dem Groß-Berlins auch das des vor 150 Jahren eingeweihten Roten Rathauses.

Auch das Rathaus-Jubiläum litt unter der Pandemie

Das dazu geplante Bürgerfest im August musste abgesagt werden, und auch ein gemeinsames, an sich doch attraktives Projekt der BVG Projekt GmbH und der Senatskanzlei hat dadurch nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die es verdiente. Der Platz vor dem Rathaus ist nicht gerade eine Flaniermeile, man blickt von der Treppe des Gebäudes noch immer auf die U-Bahn-Baustelle, aber zunächst einmal auf einen ungewöhnlich aufwendig gestalteten Bauzaun.

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Den halben Platz umzirkelnd wird auf ihm die spannende Geschichte und Gegenwart des Roten Rathauses samt seinen Vorläufern ausgebreitet, eine derzeit doch hochwillkommene Open-Air-Ausstellung in Text, Bild und Grafik.

Dank da und dort abgebildeter QR-Codes gelangt man auch hier ruckzuck zu weiteren virtuellen Informationen, kann so sogar einen gefilmten Blick ins Nest der auf dem Kommunalbau hausenden Wanderfalken werfen. Bis Ende des Jubiläumsjahrs kann man noch an der Geschichte des Roten Rathauses vorbeispazieren, kurz danach soll der Zaun verschwinden.

Beengte Verhältnisse. Ein Berliner Wohnzimmer um 1917.
Beengte Verhältnisse. Ein Berliner Wohnzimmer um 1917.

© Stadtmuseum Berlin

Mit dem Rathausbau war übrigens nicht nur Aufbruch, sondern ebenso Abbruch verbunden. Ja, es war geradezu der Beginn einer Zerstörungswelle, bei dem die baulichen Zeugnisse Alt-Berlins einem im Namen des Fortschritts forcierten Stadtumbau wie Dominosteine umgefallen seien, wie es in der Dokumentation „Das verlorene Alt-Berlin“ von Eva Röger heißt.

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In der RBB-Reihe „Geheimnisvolle Orte“ zeichnet die Filmjournalistin damit die spannende, in Ziegeln, Mörtel und Beton geschriebene Stadtgeschichte nach, lässt Experten und Zeitzeugen zu Wort kommen, stößt dabei auf teilweise verblüffende Kontinuitäten. So sollte im Zuge der Nazi-Pläne für die neue Reichshauptstadt Germania das verwinkelte Alt-Berlin verschwinden und durch eine idealisierte Fantasiealtstadt ersetzt werden. Der Krieg verhinderte diese stadtplanerischen Träumereien.

Die Altbauten verschwanden nicht unter Baggergreifern, sondern im Bombenhagel, und was übrig geblieben war, opferten die Nachkriegsplaner den Träumen von einer modernen sozialistischen Metropole. Die Fantasiealtstadt aber wurde dann doch gebaut: das Nikolaiviertel.

Der virtuelle Rundgang durchs Märkische Museum findet sich unter www.stadtmuseum.de/ausstellungen/chaos-und-aufbruch. Infos zum Jubiläum des Rathauses unter www.berlin.de/rotesrathaus150. Der Film „Das verlorene Alt-Berlin“ von Eva Röger läuft am Dienstag um 20.15 Uhr auf RBB.

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