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Stadtgeschichte: Nicht alle Stadtautobahnen wurden gebaut

Nicht alle in den 1950er Jahren entworfenen Stadtautobahnen wurden gebaut – dafür sind heutige Planer den Gegnern sogar dankbar.

Kommt sie oder kommt sie nicht – die Verlängerung der Stadtautobahn vom Dreieck Neukölln bis zum Treptower Park? Das Genehmigungsverfahren läuft weiter, das Geld für die nächsten Planungsschritte des umstrittenen Projekts haben die Koalitionsfraktionen von SPD und Linke aber gesperrt. Bereits in der Vergangenheit sind mehrfach große Straßenbauprojekte gestoppt worden.

In den 50er Jahren, als die Planer die „autogerechte Stadt“ im Kopf hatten, sollten die wichtigsten Hauptverkehrsstraßen völlig kreuzungsfrei nach Autobahn- Standard ausgebaut werden. Obwohl die Verwaltungen der Stadt bereits getrennt waren, entwickelte man im Westen ein Konzept für die gesamte Stadt: Es sah nicht nur den Bau der heutigen Stadtautobahn A 100 als geschlossener Ring vor, wie er auch heute noch dem ADAC vorschwebt. Zusätzlich sollte das historische Zentrum in allen Himmelsrichtungen von autobahnähnlichen Schneisen umgeben werden, Tangenten genannt. Im Ansatz verwirklicht wurde davon aber nur die Westtangente.

Ohne Rücksicht auf die nach den Kriegsschäden noch vorhandene Bebauung sollte das Autobahnnetz gebaut werden; flächenmäßig war der Abriss von Häusern dafür vorgesehen. Die Südtangente hätte, vom Kurfürstendamm kommend, über die Lietzenburger Straße Richtung Osten geführt werden und am Oranienplatz in Hochlage einen Kreisverkehr erhalten sollen. Die Osttangente sollte im Süden über den heutigen Britzer Garten quer durch die Stadt bis nach Pankow gebaut werden und eine riesige Schneise durch die bebauten Stadtteile schlagen.

Schon damals war der Widerstand gegen solchen Kahlschlag groß. Nur die Pläne für die Westtangente wurden von 1961 bis 1968 zwischen Steglitz und dem Schöneberger Kreuz verwirklicht. Von dort sollte sie entlang der Bahntrasse und durch den Tiergarten verlängert werden und dann Lehrter Straße, Torfstraße, Amrumer Straße und Afrikanischer Straße bis zur A 100 am Kurt-Schumacher- Damm folgen. Der Tiergarten sollte nur zum Teil – von Süden bis zur Straße des 17. Juni – untertunnelt werden.

Gegen den Weiterbau ab dem Schöneberger Kreuz wehrten sich die Anwohner vehement. Der Widerstand konzentrierte sich 1974 in der Bürgerinitiative Westtangente, einer der ersten ihrer Art. Sie war die Keimzelle weiterer Initiativen – und ist bis heute aktiv: Einer der Aktivisten ist der Architekt Norbert Rheinlaender. Er hat mit einer Planungsgruppe vorgeschlagen, statt einer sechsspurigen Autobahn eine vierspurige Stadtstraße zum Treptower Park zu bauen.

Seit der Gründung der Initiative gab es um den Bau der Westtangente jahrelange Auseinandersetzungen. Unter wechselnden Senatoren wurden die Pläne immer wieder geändert; die Bagger rückten jedoch nie an. In den 90er Jahren gab die CDU-SPD-Koalition die Pläne endgültig auf. Dem Bau des Tiergartentunnels stimmte die SPD nur zu, weil er als Stadtstraße konzipiert und abschnittsweise nur einspurig je Richtung zu befahren ist.

Den wesentlich von der Bürgerinitiative erzwungenen Verzicht auf den Weiterbau der Westtangente bezeichnen heute auch Verkehrsplaner als richtig, die sich für den Weiterbau des Stadtrings zum Treptower Park aussprechen. Die Westtangente hätte massiv zusätzlichen Verkehr in die Innenstadt gelockt – was man heute vermeiden will, sagt der oberste Verkehrsplaner der Stadtentwicklungsverwaltung, Friedemann Kunst.

Mit der A-100-Verlängerung werde der Verkehr dagegen nur „umorganisiert“, eine Zunahme werde es durch den Bau insgesamt nicht geben. Jetzt quäle sich der Verkehr in diesem Bereich über ungeeignete Straßen. Diesen Effekt habe auch der Bund erkannt, der sonst den Plänen zum Bau, den er finanzieren muss, nicht zugestimmt hätte. 420 Millionen Euro sind für den 3,2 Kilometer langen Abschnitt veranschlagt.

Auch in Zehlendorf haben Bürger ein ehrgeiziges Straßenbauprojekt verhindert: Sie wehrten sich in den 70er Jahren erfolgreich gegen Untertunnelungen von Kreuzungen im Verlauf des Straßenzuges Unter den Eichen und Berliner Straße bis zur Potsdamer Chaussee. Umstritten war dabei vor allem der Tunnel im Zehlendorfer Ortskern. Weil sie von keiner Partei unterstützt wurden, gründeten die Tunnelgegner 1974 die Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger, die dann bis in die 90er Jahre in der Bezirksverordnetenversammlung vertreten war. Klaus Kurpjuweit

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