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Berlin: Stadtgüter: Miss Barnim-Oberhavel - demnächst eine ganz private Kuh

Wer es schon wieder vergessen hat: Die Altkuh "Stern" wurde im November 1999 auf einer Kreistierschau zur Miss Barnim-Oberhavel gekürt. Ein landeseigenes Rindvieh, auf das Berlin stolz sein kann; es wurde im Stadtgut Albertshof großgezogen.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Wer es schon wieder vergessen hat: Die Altkuh "Stern" wurde im November 1999 auf einer Kreistierschau zur Miss Barnim-Oberhavel gekürt. Ein landeseigenes Rindvieh, auf das Berlin stolz sein kann; es wurde im Stadtgut Albertshof großgezogen. Aber mit der staatlich betriebenen Landwirtschaft ist es bald vorbei. Die Berliner Stadtgüter GmbH - größter Milchproduzent Deutschlands mit 6000 Kühen und einer Milchquote von 45 Millionen Kilogramm jährlich - wird privatisiert. Der Aufsichtsrat der Gesellschaft, in dem Berliner Senatsverwaltungen, das Brandenburger Landwirtschaftsministerium und der Deutsche Bauernverband sitzen, stimmten dem Konzept des Stadtgüter-Chefs Démètre Zavlaris jetzt einstimmig zu.

Denn Ackerbau und Viehzucht sind eigentlich keine hoheitliche Aufgaben. Acht moderne Gutshöfe, die 15 500 Hektar landwirtschaftliche Nutzflächen im Umland Berlins beackern, werden aus der öffentlichen Hand gegeben. "Ein Gigant", schrieb kürzlich die Fachzeitschrift "Top Agrar" mit Ehrfurcht in der Stimme. Die Stadtgüter werden aufgespalten: In eine landeseigene Besitzgesellschaft ("Liegenschafts-Management GmbH & Co KG"), die den gesamten Grundbesitz hält und die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen an eine Betreibergesellschaft ("Stadtgüter GmbH") verpachtet. Deren Anteile sollen zu mindestens 75 Prozent an private Großunternehmen verkauft werden, die sich im Agrarbereich auskennen. Das Meierei-Unternehmen Emzett, das gern eingestiegen wäre, kommt als Mitbetreiber nicht mehr in Betracht. Das Neuköllner Stammwerk wurde kürzlich geschlossen.

Die Ausschreibung könnte noch in diesem Jahr europaweit erfolgen, spätestens Ende 2001 soll die Neuordnung der Stadtgüter abgeschlossen sein. Die Agrarflächen werden nicht einzeln verkauft, sondern "im Paket" verpachtet, um die Güter nicht zu zerstükkeln und die äußerst wertvolle EU-Milchquote zu sichern. Alle Immobilien, die nicht landwirtschaftlich genutzt werden und bisher unverkäuflich waren, sollen von der Besitzgesellschaft verwaltet und saniert werden. "Das wird keine neue Landesentwicklungsgesellschaft", versicherte Wirtschafts-Staatssekretär Volker Liepelt, der dem Stadtgüter-Aufsichtsrat vorsitzt. Schwierige Immobilien sind zum Beispiel das Hotel- und Konferenzzentrum Gosen, das für Investoren erst attraktiv wird, wenn der Schönefelder Großflughafen in Bau ist. Aber auch ehemalige NVA-Gelände und baufällige Schlösser in Brandenburg gehören zur Stadtgüter-GmbH und belasten die Bilanz.

Um diese Vermögenswerte "marktfähig" zu machen, benötigt die neue Besitzgesellschaft Geld. Die Mittel sollen aus dem Verkauf der GmbH-Anteile und aus den Rücklagen der Stadtgüter kommen. Gelingt es dann, die immobilen Ladenhüter zu veräußern, fließen die Einnahmen in die Landeskasse. Finanzsenator Peter Kurth sah davon ab, die Stadtgutflächen für seinen neuen Liegenschaftsfonds zu beanspruchen. Dessen "operatives Geschäft", das 2001 aufgenommen wird, solle nicht durch Problemgrundstücke fernab Berlins belastet werden, sagt die Finanzverwaltung.

Zavlaris, Geschäftsführer der 1992 gegründeten Stadtgüter GmbH, kämpft seit mehreren Jahren für sein Privatisierungskonzept, das nicht nur die Milchquote, sondern auch viele Arbeitsplätze des Unternehmens rettet. Der Senat und die Regierungsfraktionen CDU und SPD haben zu erkennen gegeben, dass sie den Tendenzbeschluss des Stadtgüter-Aufsichtsrates mittragen wollen. Vorher sind noch steuerrechtliche Detailprobleme zu lösen. Die Zeit drängt. Der parlamentarische Hauptausschuss will das Privatisierungskonzept vor der Verabschiedung des nächsten Landeshaushalts am 7. Dezember auf den Tisch bekommen. Das sei zu schaffen, versichert Liepelt. Anschließend muss noch der Senat die neue Struktur der Stadtgüter beschließen.

Zavlaris geht Ende 2001, mit 65 Jahren, in Pension, wäre aber bereit, noch für eine kurze Übergangszeit zur Verfügung zu stehen, bis der Laden läuft. In der Gründungsphase des Unternehmens, nach dem Mauerfall, nahm er 18 Volkseigene Betriebe in Brandenburg mit über 4000 Mitarbeitern unter seine Fittiche, die 1991 noch 115 Millionen Mark "Miese" machten. Die Verluste mussten aus dem Berliner Etat ausgeglichen werden, konnten aber schrittweise verringert werden. 1999 warf die staatlich geführte Landwirtschaft erstmals Gewinne ab, weist der noch inoffizielle Geschäftsbericht aus. Immerhin eine halbe Million Mark. Nur 330 Beschäftigte und acht wettbewerbsfähige Güter blieben übrig. Die ehemals breit gestreuten Aktivitäten wurden auf die Milch- und Futterproduktion konzentriert.

Zavlaris - seit Mitte der 70er Jahre als Spezialist für kommunale Betriebe in der Berliner Verwaltung tätig - habe sehr gute Arbeit geleistet, wird dem gebürtigen Griechen mit SPD-Parteibuch von allen Seiten bescheinigt. Auch der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen hat die Berliner Stadtgüter immer aus voller Überzeugung unterstützt. Nicht weil er Kühe (oder Zavlaris) so gern mag, sondern weil er die kluge Weitsicht seiner Amtsvorgänger bewundert, die vor 127 Jahren mit dem Ankauf von Grün- und Forstflächen außerhalb der Stadtgrenzen begannen. Eine "nachhaltige Politik", würde man heute sagen, die sich für Berlin ausgezahlt hat.

Damals stand die Versorgung der jungen Reichshauptstadt mit landwirtschaftlichen Gütern, die Entsorgung der Fäkalien auf den Rieselfeldern und die Nutzung des außerstädtischen Grundeigentums für Wochenendausflüge der Berliner im Vordergrund. Heute sind die Stadtgüter "regionalplanerisches Faustpfand" des Stadtstaates Berlin gegenüber dem Land Brandenburg und dienen der Landschaftspflege, dem Naturschutz und Erholungszwecken. Die Landwirtschaft ist eher ein Abfallprodukt. Die Landkreise im Umland haben sich im Lauf der Jahre zähneknirschend daran gewöhnt, dass Berlin - als Großbauer und Grundbesitzer - bei ihnen mitmischt. Und auch nach der Privatisierung der Stadtgüter GmbH wird die Stadt den Fuß in der Tür zum Nachbarn Brandenburg behalten.

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