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Gunter Gabriel: „Fracksausen habe ich keins mehr“

Der Mann ist wieder gefragt und genießt es: Heute Abend gibt Countrysänger Gunter Gabriel sein Theaterdebüt in Charlottenburg.

Zusammen mit Helen Schneider und Band spielt und musiziert er „Hello I’m Johnny Cash“ im Renaissance Theater in Charlottenburg (bis 21. September). Das Interesse ist gewaltig, alle Welt will Gabriel sprechen. Die Verabschiedung der vorher eingetakteten Pressekollegin ist wie aus Onkel Gunters Klischee-Bilderbuch: „Was?“, spaßt er, die Dame könne doch unmöglich schon gehen. „Dich will ich doch noch flachlegen. Aber nur, wenn du nicht deine Tage hast.“ So isser halt, der Gunter, quatscht sich um Kopf und Kragen und schert sich nicht mal drum.

Die Begrüßung gerät leutselig. Die Hand verschwindet in einer weichen Pranke, zutrauliches Zwicken trifft den Oberarm, ein breites Lächeln erhellt sein von zu viel Alk, Pleiten, Poussieren, Prügeln und Pöbeln zerklüftetes Gesicht. Schon erstaunlich, einen ähnlich großen Vorrat an zweiten Chancen wie Gabriel hat in der Unterhaltungsbranche wohl nur Harald Juhnke öffentlich aufgebraucht. Und ähnlich wie der läutert sich der x-fach abgeschriebene Gabriel mit 68 auf seine friedlicheren und weniger versoffenen Tage auch noch künstlerisch mit seiner Biografie und den letzten beiden Alben. Die hat er seinem „Leuchtturm“ und Freund Johnny Cash geweiht und eins davon gar im Studio der Country-Ikone in Tennessee eingespielt.

Und jetzt spielt er Cash sogar. Das Textlernen für das Stück, das zu 80 Prozent aus Musik besteht, sei ihm alles andere als leicht gefallen, stöhnt Gabriel. Ob er Fracksausen vor der Premiere hat? „Nee“, sagt er, „das ist das Glück des Alters, dass ich kein Fracksausen mehr habe.“ Als junger Mensch dagegen dauernd, „selbst wenn ich eine Frau bestiegen habe“. Kennengelernt haben sich der 15-fache Grammy-Gewinner Cash und der Westfale Gabriel, dessen Hausboot in Hamburg vor Anker liegt und der seine Songschreiberkarriere 1971 zusammen mit Frank Zander bei Hansa in Berlin begann, schon 1977 durch den von Cash interpretierten Dylan-Song „Wanted Man“, der bei Gabriel zum Hit „Ich werd gesucht in Bremerhaven“ mutierte.

Cash darzustellen falle ihm leicht, sagt Gabriel, nicht nur wegen dessen ebenfalls mit Abstürzen und Räuschen gesättigtem Leben. „ Wir sind beide 1,90 groß und haben dieselbe Attitüde, wir behandeln beide die Gitarre wie eine Frau.“ Neben der geschmeidig tänzelnden Singsängerin Helen Schneider, die Cashs Ehefrau, den Countrystar June Carter, spielt, wirkt der verwitterte Sprechsänger Gabriel um einiges hüftsteifer – wie der späte Cash. Einfach nur imitieren will Gabriel ihn mit seinem sonoren Bassbariton aber nicht. Er wolle Cashs Erbe weitertragen. Der sei nämlich nicht einfach nur ein Sänger gewesen. Sondern? „Philosoph, Rock ’n’ Roller, Pazifist, Menschenfreund und – ein Sünder, klar, das auch.“ gba

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