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Stadtleben: Alles am Fluss

Carl-Peter Steinmann erzählt Geschichten von Ufern, Brücken und Inseln entlang der Spree

Kurz vor der Weidendammer Brücke, am Abend des 8. Dezember 1845, hatte er den „glücklichsten Gedanken seines Lebens“. Übermütig plaudernd schritt der junge Mann mit dem Fräulein über die Spree und fragte sie kurz entschlossen, ob sie sich einander versprechen wollten. Als Theodor Fontane und seine spätere Frau Emilie Rouanet-Kummer am anderen Ufer ankamen, waren sie verlobt.

Die Verlobungsbrücke des Dichters sah damals noch anders aus: Es war eine gusseiserne Konstruktion. Erst 1895 wurde sie abgerissen und durch das heutige Bauwerk ersetzt. Viel später, 1976, besang Wolf Biermann in seiner „Ballade vom preußischen Ikarus“ die Weidendammer Brücke: „Da wo die Friedrichstraße sacht den Schritt über das Wasser macht“. Heute wird an ihrer Südseite um den Bau des „Spreedreiecks“ heftig gerungen.

Berliner Geschichte und Geschichten im Fluss der Zeit – rechts und links der Spree. Der Stadtführer und Berlin-Historiker Carl-Peter Steinmann ist den Lauf des Flusses zwischen der Müggelspree bei Rahnsdorf und der Mündung in die Havel in Spandau entlanggewandert und hat mit Leidenschaft kurzweilige und kuriose Begebenheiten gesammelt: von Ufern, Brücken und Inseln, zwischen gestern und heute. Die erzählt er in seinem neuesten Buch in unterhaltsamem Plauderton, in bester Berliner Flaneurtradition.

47 Kilometer schlängelt sich die Spree durch die Stadt, unter 57 Brücken hindurch. Wie an einer Perlenschnur reihen sich spreeabwärts die Geschichten von Orten, Häusern und Menschen aneinander. Da die Spree recht langsam fließt, bleibt für die Fülle der Erzählungen Zeit, egal, ob man zu Hause in die Lektüre abtaucht oder damit dem Spreelauf folgt.

Sie beginnt in Rahnsdorf mit Berlins originellster Fährverbindung. Hier setzt Ronald Kebelmann die kleinste Fähre der Stadt „Paule III“ im Auftrag der BVG über – ein Ruderboot für acht Personen. Nun geht es weiter zum Friedrichshagener Dichterkreis, zu den tollkühnen Männern in ihren fliegenden Kisten am Flughafen Johannisthal, zu Wilhelm Spindlers Dampfwäschereien in Spindlersfeld oder zum Köpenicker Schloss, wo 1730 das Kriegsgericht gegen Kronprinz Friedrich, den späteren „Alten Fritz“, tagte.

Auch die „Liebesinsel“ bei Stralau wird besucht, die einstige Abwasserpumpstation von 1881 am Friedrichshainer Ufer – heute das Kunstzentrum Radialsystem –, der Humboldthafen, die einstige Bolle-Meierei in Moabit. Und wie kam die Jungfernbrücke in Mitte zu ihrem Namen? Vielleicht wegen des seit 1690 nebenan geführten Mädchenheimes? Der Autor entführt in die Tage der Schwimmanstalten und aufblühenden Fahrgastschifffahrt, nimmt den Leser mit in den Zirkus Busch am Monbijou-Ufer, ins Zille-Milieu der Fischerinsel, bevor die Abrissbirne alles niedermachte.

Und am Ende landet er bei „Tante Agnes“ am Spandauer Lindenufer. Bei ihr ließen sich die Flussfahrer einst den Landgang versüßen. Bis in die 60er Jahre betrieb sie hier Berlins einziges Binnenschiffer-Bordell – die „Schiffer-Klause“. Unten stand Agnes Meyer am Bierhahn, oben diente ihre Wohnung als Stundenhotel. Nach ihrem Tod 1975 wechselten mehrfach die Wirtsleute, „Stube und Küche“ heißt heute das Alt-Berliner Restaurant am selben Ort. Eine Reminiszenz an das Kiez-Original ist geblieben. Serviert wird „Tante Agnes’ Havelpils“.





Carl-Peter Steinmann: Im Fluss der Zeit – Geheimnisse links und rechts der Spree. Transit-Verlag, Berlin. 144 Seiten mit 20 Schwarzweiß-Abbildungen, 14,80 Euro.

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