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© Thilo Rückeis

Aus für den Wintergarten: Ende mit Tränen

Letzter Tag im Wintergarten-Varieté: Noch einmal war Andrang auf dem roten Teppich. Und die Emotionen waren groß.

Die Augen von Nadine Greitzke sind bereits verdächtig gerötet. Die 28-jährige Abendspielleiterin schafft es noch, ein paar Worte zu sprechen. Aber dann geht es nicht mehr, sie wendet sich ab, Tränen fließen ihr übers Gesicht. „Mir geht es ganz schlimm“, sagt sie, „und bei den Kollegen sieht es auch nicht besser aus.“ Hinter ihr drängen sich die Gäste noch einmal auf dem roten Teppich, um die Show „Orientalis“ zu sehen – zum letzten Mal. Zwei ausverkaufte Vorführungen gehen am Sonnabend noch über die Bühne, dann ist Schluss. Das Haus ist insolvent.

Der glücklose Noch-Wintergarten-Geschäftsführer Frank Reinhardt hatte für die letzte Vorstellung eine Rede vorbereitet. Mit leicht bebender Stimme verzichtete er aber dann vor dem roten Vorhang darauf – zu sehr emotional sei der Moment. Dass er „sehr , sehr traurig“ sei, sagte er stattdessen. Und dass er dem Haus mehr Unterstützung gewünscht hätte. So aber führe kein Weg daran vorbei, dass „heute die letzte Vorstellung ist.“

„Der Wintergarten war für uns mehr als ein Arbeitsplatz“, sagt Nadine Greitzke, „er war Familie“. Immer wieder taucht im Gespräch dieses Motiv auf: Die emotionale Verbundenheit mit dem Haus. Von den 68 Mitarbeitern war die eine Hälfte geringfügig beschäftigt, die andere wird jetzt Arbeitslosengeld I bekommen.

Für Hans Thoben wird es schwierig, neue Arbeit zu finden. Der 59-jährige technische Leiter arbeitet seit 1992 im Wintergarten. „Ich möchte diesen Tag einfach hinter mich bringen“, sagt er. Besonders traurig sei er am Freitag gewesen. Da haben die Mitarbeiter noch einmal die jährliche „Crew Show“ gefeiert. Den Gästen der Nachmittagsshow ist bewusst, dass dies der letzte Tag im Wintergarten ist. „Es ist traurig“, sagt einer, „aber in Berlin gibt es wohl zu viele Angebote“. Ein älterer Herr sieht es nüchtern: „Was sich nicht rentiert, rentiert sich nicht.“

Die meisten Gäste der Nachmittags-Show sind vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf eingeladen. Es sind Ehrenamtliche, zwanzig sollen anfangs geehrt werden. Auf der Bühne sind Stühle im Halbkreis aufgestellt. Oliver Heucke scheint sie anzusehen, in Wahrheit blickt er ins Leere. Seit elf Jahren ist er am Haus, zuletzt als Inspizient. „Es ist surreal“, sagt er. „Ich kenne hier jeden Nanometer. Es zerbricht einem das Herz.“ Er hat Glück gehabt, schon am Montag kann er eine neue Stelle in einem Betrieb antreten, der Schaufensterpuppen restauriert. Viele der anderen Mitarbeiter haben sich in der Initiative „Hurra, wir leben noch“ zusammengeschlossen. Sie würden mindestens einen Monat ohne Gehalt weiterspielen, prominente Stars wie Mary haben zugesagt, ohne Gage aufzutreten. Aber „insolvenz- und arbeitsrechtliche Gründe“ würden das nicht zulassen, wie es Castingdirektor Kaspar Denkerausdrückt. Das Mobiliar wird wohl versteigert. Die Initiative bräuchte 200 000 Euro, um es zu kaufen. Noch hofft Denker auf einen finanzstarken Investor. Hinter ihm werben Plakate für eine Fremdveranstaltung um 23 Uhr, die zufälligerweise die letzte im Wintergarten sein wird: „Bohème Sauvage“, eine Hommage an die 20er Jahre, die goldene Zeit des Varietés. Manchmal sorgt der Zufall für die größte Ironie.

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