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Stadtleben: Beischlaf aus Versehen

Wie ein verschrobener Held das Glück findet – und dafür sein Sofa in Gropiusstadt verlässt

Karriere, Geldanlagen, Modetrends: Dieser Mann kümmert sich nicht drum. Sein Dasein plätschert so dahin. Einfach existieren will er, bloß nicht auffallen. Dazu nutzt er Finessen wie diese: „Bei schönstem Sommerwetter eine mittelmäßige Winterlaune zu bewahren, gehörte zu den Herausforderungen, die Holm seit Jahren erfolgreich bestand“, heißt es. 37 ist die verschrobene Type und der fantastische Held in Matthias Keidtels Buch „Ein Mann wie Holm“. Dass der Roman, 2006 als Hardcover erschienen, nun in einer Taschenbuchausgabe vorliegt, ist ein Glücksfall. Denn wer Holm bisher nicht kannte, hat amüsante Lesestunden verpasst.

Der Mann lebt, vorzugsweise auf dem Sofa sitzend, bei seiner Tante in Gropiusstadt. Täglich beginnt er sein Abendbrot pünktlich mit der Tagesschau und kommt, weil es sich gehört, auch mal mit zum Damenkränzchen. Alles im Lot, könnte man meinen. Doch, teils von der Tante angeregt, teils einem diffusen inneren Impuls folgend, versucht er, erwachsen zu werden. „Einleben“, nennt er das. Ein Job als Zigarrenverkäufer findet sich und – in der Herrenbekleidungsabteilung des KaDeWe – sogar eine potenzielle Freundin. Verkäuferin Ulrike zumindest scheint geeigneter als eine zuvor ins Literaturcafé bestellte Vera, die per Kontaktanzeige gefunden worden war. Vera verbot sich von selbst, mit ihren rot lackierten Fingernägeln, den großen Schlucken aus dem Weizenbierglas und einer lauten Stimme, die auch die „rechts und links sitzenden kritischen Intellektuellen“ unmutig aufschauen ließ.

Leider geht für Holms Geschmack auch Ulrike zu forsch zur Sache: Schnell landet Holm in ihrer Wohnung. Auf der Matratze im Schlafzimmer hocken drei Plüschbären und glotzen ihn an. Eher zufällig, keineswegs mit Holms Absicht, kommt es zum Verkehr. Ob er fortan in Liebe entbrannt ist oder nur eine Lebensaufgabe meistert, man weiß es nicht.

Frauen haben Wünsche, die es zu erfüllen gilt, lernt Holm. Und begleitet Ulrike in eine Diskothek. Auf mehreren Seiten, bis in kleinste, aberwitzige Details hinein, beschreibt Keidtel die Schwierigkeiten seines Helden, an der Theke zwei Drinks zu ordern. Einmal mehr zeigt sich in diesen Szenen die scharfe Beobachtungsgabe des Autors und seine Kunst, jeden Satz auf den Punkt zu kombinieren. Fein gedrechselt kommen die Passagen daher, und doch wirkt alles leichtfüßig, bunt und witzig.

Wenn man sich in Berlin ein paar Minuten an eine Straßenecke stellt, könnte man einem Mann wie Holm sicher begegnen. Aber eben selten in sein absurdes Dasein plumpsen wie in diesem Roman. Und nach 352 Seiten soll der Spaß wirklich zu Ende sein? Keine Bange. Der Autor schreibt bereits weiter, denn Holm ist nur der Anfang einer in Aussicht gestellten „Trilogie des modernen Mannes“. Hella Kaiser











Matthias Keidtel: Ein Mann wie Holm. Goldmann-Taschenbuch, München. 352 Seiten, 8,95 Euro.

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