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© Benjamin Krieg

Benefizkonzert: Flughafen Tempelhof - die ideale Konzerthalle

Spannender Impuls: Ein Benefizkonzert zum 9. November beweist, dass die Abfertigungshalle von Tempelhof als Konzertsaal wunderbar geeignet ist.

Die Vorgeschichte ist wirklich bewegend: Im Urlaub liest der Geiger Daniel Hope die Dokumentation „Kristallnacht: Prelude to Destruction“ des britischen Historikers Martin Gilbert. Er ist erschüttert über die Ausmaße des Pogroms, bei dem in ganz Deutschland Synagogen niedergebrannt und jüdische Geschäfte verwüstet wurden, stellt fest, dass die schrecklichen Ereignisse genau 70 Jahre her sind – und beschließt, am 9. November ein Gedenkkonzert zu veranstalten.

Hope trommelt seine Künstlerfreunde zusammen, gewinnt Sponsoren, setzt sich in den Kopf, den Benefizabend zugunsten der Freya-von-Moltke-Stiftung im Flughafen Tempelhof zu veranstalten, in diesem doppelten Symbol, das sowohl für den Größenwahn der Nazis steht als auch – dank der legendären Luftbrücke – für Zivilcourage. Der Musiker überwindet alle bürokratischen Hürden, darf, nur zehn Tage nach der offiziellen Schließung, 800 Stühle in der ehemaligen Abfertigungshalle aufstellen. Das Medienecho ist gigantisch, die Tickets sind im Handumdrehen verkauft.

Als Schirmherr dieser in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Veranstaltung hebt Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Sonntag das Engagement des „Bürgers Daniel Hope“ hervor, der „seinen Ruf in der Musikwelt einsetzt, um auch jenseits der Kunst zu wirken“. Sicher, das Motto „Tu was!“ erreicht mal wieder nur jene, die sich sowieso darin einig sind, dass wir nie vergessen dürften, dass wir wachsam bleiben müssen gegen jede Form des Rechtsradikalismus. Und auch für die jungen Menschen, die durch die Einnahmen des Abends ins polnische Krzyzowa reisen dürfen, in die Jugendbegegnungsstätte auf dem einstigen Gut des Widerstandskämpfers Helmuth James von Moltke, liegt Fremdenfeindlichkeit wohl eher fern.

Schauer des Authentischen

Wenn Menahem Pressler zum Mikrofon greift, der 84-jährige Pianist und Gründer des Beaux Arts Trio, der die Pogromnacht als Kind selber erlitten hat, geht ein Schauer des Authentischen durch den Saal. „Ja, ich habe überlebt, und ich wollte mich eigentlich gar nicht mehr erinnern, an diesen Tag, an unsere Furcht vor dem Ungewissen“, ruft der weise alte Mann mit den blitzenden Augen aus und wird für seine schonungslose Offenheit, vor allem aber für seine faszinierende, ungebrochene Lebensfreude gefeiert, mit Standing Ovations.

Im Übrigen aber wird das bunte „Tu was“-Galaprogramm nicht aufgrund seiner quälenden Länge von drei pausenlosen Stunden in Erinnerung bleiben und auch wohl kaum wegen der Phrasen dreschenden Moderatorin Annabelle Mandeng, die mit ihrem Hullitrulli-Tonfall komplett daneben liegt. Sondern aus einem ganz anderen Grund: weil dieser Abend den Beweis erbracht hat, dass die Abfertigungshalle des Flughafens Tempelhof ein grandioser Konzertsaal ist.

Das Gebäude beginnt zu leben

Dass die Proportionen stimmen, war schon im grellen Neonschein zu Flugbetriebszeiten klar erkennbar – jetzt aber, in dezentes, indirektes Licht getaucht, beginnt das Gebäude förmlich zu leben: Die umlaufenden Galerien scheinen zu schweben, selbst die wuchtigen Säulen wirken nun geradezu schlank, ihr heller Stein leuchtet, in perfekter farblicher Abstimmung zum warmen Toskanarot der Decke. Und ist das hier nicht ein klassischer „Schuhkarton“, wie er seit Jahrhunderten als idealtypisch für Orchesterkonzerte gilt?
Am Sonntag werden alle die Künstler verstärkt – was mit einem Schock beginnt, weil Busonis vollgriffige Bearbeitung der Bach’schen d-moll Chaconne nicht nur die Pianistin Hélène Grimaud, sondern auch die Lautsprecheranlage überfordert.

Doch das Ohr gewöhnt sich schnell, akzeptiert zuerst die genuinen Mikrofon-Künstler Max Raabe, Patrice, Till Brönner und Polarkreis 18, hört sich mit Klaus Maria Brandauer ein, empfindet schließlich sogar Daniel Hopes Geige, Sol Gabettas Cello und Thomas Quasthoffs Bariton als schön. Aber es sind die Nebengeräusche, die aufhorchen lassen – weil sie deutlichst zu vernehmen sind und den Rückschluss erlauben, dass mit ein paar akustischen Kunstgriffen Klassik hier tatsächlich unplugged möglich wäre.

Abgesehen von einem Luftbrücken- Konzert des Berliner Kammerorchesters im Mai 1999 sind bisher keine Versuche dazu gemacht worden. Mit seinem Pogromnacht-Benefiz hat Daniel Hope der Diskussion um die künftige Nutzung der Abfertigungshalle einen neuen, spannenden Impuls gegeben: Tu was!

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