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Berlin-Film: Gullivers Berlin-Reisen

In seinem Film „Little Big Berlin“ wirkt die große Stadt Berlin wie eine Modellbahnlandschaft. Im Internet ist das Video ein Hit. Nur wer steckt dahinter?

Touristen flitzen über den Alexanderplatz. S-Bahnen rasen wie Hochgeschwindigkeitszüge durch die Innenstadt, und Autos jagen am Dom vorbei wie auf der Autobahn. In Berlin ist die große Hektik ausgebrochen. Selbst die Weltzeituhr dreht sich schneller, und Brunnen drohen zusammenzustürzen, so rasant sprudelt Wasser nach. Hinter diesem Szenario steckt Philipp Beuter aus Friedrichshain. In seinem Kurzfilm „Little Big Berlin“ lässt er Videoaufnahmen der Stadt achtmal so schnell ablaufen wie in der Wirklichkeit. Und weil er mit der Schärfe spielt, sieht Berlin neun Minuten lang aus wie eine riesige Modellbahnanlage.

Im Internet ist der Film ein Hit. Er wird über soziale Netzwerke wie Facebook verbreitet oder per Mail, auf Videoplattformen stimmen die Leute Lobeshymnen auf den Macher an. In den vergangenen drei Wochen hat Beuter, der sich im Internet Pilpop nennt, 350 000 Klicks gezählt. Das ist viel im schnelllebigen Internet, wo abertausende Nutzer um ein bisschen Aufmerksamkeit werben. Die Technik hinter dem Erfolg heißt „Tilt Shift“. Dabei wird die Schärfe bewusst nur auf einen bestimmten Bildausschnitt gelegt, der Rest ist unscharf. Das können bestimmte Kameraobjektive und mittlerweile auch Computerprogramme.

Beuter, 37, schnitt den Film am Computer in seiner Wohnung in Friedrichshain. 200 Stunden hat er gebraucht, um aus zwei Stunden tristem Filmmaterial neun Minuten farbenprächtiges Berlin im Zeitraffer zu gestalten. „Im Original sieht Berlin ja oft schlimm aus“, sagt er. Bis zu achtmal schneller sind die Aufnahmen im fertigen Film. Da wirkt selbst das gemütliche Spazieren im Lustgarten hektisch. Die Unruhe verstärkt Franz Liszts Komposition „Hungarian Rhapsody No. 2“, die Beuter als Musik einspielte. Beim Kurzfilmfestival „Interfilm“ läuft der Film am heutigen Sonnabend im Programmpunkt „Berlin Beats“.

Wie vielen Kinogästen im Salon der Volksbühne wird dann wohl der Schrei auffallen, den ein Mann, der am Seil hängt, beim Sprung von einem Hotel am Alexanderplatz ausstößt? Der sogenannte Wilhelmsschrei ist ein Soundeffekt aus einer Klangbibliothek und wurde seit 1951 in zahlreichen Filmen wie Star Wars und Simpsons verwendet, ein Gag unter Experten. Nun hat sogar die S-Bahn Beuters Film entdeckt und will im Bahnhof Friedrichstraße einen Ausschnitt an die Wand projizieren, die Verhandlungen dazu laufen.

Die Idee zu „Little Big Berlin“ kam Beuter, als er die Fernsehwerbung eines Telefonanbieters mit Tilt-Shift-Effekt sah. Das wollte er nachmachen. Er schnappte sich die Kamera und filmte, wo er sowieso mit dem Fahrrad entlangfuhr, aus dem Fenster daheim und am Arbeitsplatz. Den Westteil der Stadt sucht man deswegen vergebens. Im nächsten Jahr soll es einen zweiten Teil geben, sagt Beuter, der vor 20 Jahren von Ulm an die Spree zog. Aber nicht über den Westen, eher ein „Little Bad Berlin“, dann über die hässliche Seite, über Abriss und Prostitution. Noch wirft das Hobby keinen Cent ab, es kostet nur. Für „Little Big Berlin“ verschlangen Material und Eintrittsgelder für Fernsehturm und Humboldtbox 50 Euro. Wegen des Geldes musste das Pferderennen in Hoppegarten aus dem Film draußen bleiben. Der Eintritt war ihm einfach zu teuer.

Dennoch, Tilt Shift ist Trend. Deshalb will Beuter noch so einen Film über Schloss Neuschwanstein im Allgäu drehen, „für die Japaner“, und einen Kurzfilm gegen rechts. Im Dezember soll dafür eine bessere Kamera her, und insgeheim träumt er vom Hauptberuf Filmemacher.

Im Internet stehen noch haufenweise solcher Videos, auch über Berlin. Im fast gleich klingenden „Little Berlin“ geht Filmer „gantico“ noch näher an die Menschen ran, dreht vom Schiff aus und lässt Löwen wie Breakdancer im Zoo zappeln. „Benniothek“ fährt mit dem „Berlin Bus 100“ vom Bahnhof Zoo zum Alex, und „hasmix“ zeigt in „Small Life in Tropical Islands“ plantschende Wasserratten im brandenburgischen Riesenschwimmbad.

Doch andere Filme guckt Beuter selten. Weil er einfach keine mehr sehen kann – als stellvertretender Leiter des Kinos in der Kulturbrauerei schaut er ja auch genug auf Leinwände.

„Little Big Berlin“, Sonnabend im Roten Salon in der Volksbühne, 21 Uhr.

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