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© Heinrich

Berlin-Neukölln: Nachbarn in getrennten Welten

Prügelnde Rütli-Schüler, Dealer in der Hasenheide: Das ist für viele Neukölln. Doch der Bezirk ist mehr als ein Ghetto ohne Hoffnung - er hat zwei Gesichter.

Der Problemkiez

Die Sonne scheint auf die graue Fassade des Rathauses in Neukölln, dicht gedrängt sitzen Tauben auf den Straßenlaternen, aus einem Imbiss an der Ecke riecht es nach gegrilltem Fleisch. Nancy wickelt sich den Wollschal ein bisschen fester um den Hals und sieht sich auf dem Rathausplatz um: „Hier war es mal richtig gemütlich und schön“, sagt sie und seufzt. „Jetzt ist es hier dreckig, und viele schöne Läden verschwinden.“ Die 24-Jährige zeigt auf Plastiktüten, die am Straßenrand liegen und auf Geschäfte, die viele billige und wenige gute Waren anbieten. Nancy ist in Neukölln großgeworden – doch vor ein paar Jahren hat sie den lieb gewonnenen Bezirk schließlich verlassen. Etwa 1997 habe eine schleichende Veränderung im Kiez ums Neuköllner Rathaus eingesetzt, erzählt sie. Irgendwann fühlte sie sich dort einfach nicht mehr wohl.

Der neue Sozialatlas bestätigt Nancys mulmiges Gefühl. Die Studie untersuchte Berliner Stadtteile auf ihre Lebensqualität. Die Gegend um das Neuköllner Rathaus schnitt im Vergleich besonders schlecht ab. In den Straßen rund um das Rathaus bestehe ein „hoher Interventionsbedarf“, sagen die Forscher.

„Es ist hier nicht mehr so, wie es mal war“, bestätigen auch Karim Hrilla (31) und Anja Glinski (27) in der Karl-Marx-Straße am Rathaus. Vor allem stört das junge Paar, dass es keine „anständigen Geschäfte“ in der Gegend gibt. Zudem werde auf den Straßen gepöbelt, die Kriminalität sei hoch. „Rund um die Uhr werden einem Schläge angedroht“, sagt Karim Hrilla. Zweimal wurde Anja Glinski in den letzten drei Jahren schon die Handtasche geklaut. Doch wegziehen will das Pärchen mit der einjährigen Tochter Malika-Soraya trotzdem nicht. „Wir haben uns hier so eingelebt“, sagen beide. Wie man die schlechte Entwicklung im Kiez stoppen könnte? Karim Hrilla zuckt mit den Schultern: „Es müsste so vieles gemacht werden.“

Auch Brigitte Meißner (67) sieht dem Verfall des Kiezes um das Neuköllner Rathaus seit Jahren mit Bedauern zu. 20 Jahre lang arbeitete sie in der Martin-Luther Kirchengemeinde in der Fuldastraße, vor acht Jahren zog sie nach Grunewald. „Fast alle Deutschen, die ich hier kannte, sind inzwischen auch weggezogen“, sagt sie. Der hohe Ausländeranteil an den Schulen sei leider für viele Familien ein Grund, die Gegend zu verlassen. Trotzdem kommt Brigitte Meißner noch immer regelmäßig in den Kiez, zum Beispiel wenn sie mal wieder zu einem ihrer Ärzte muss. Die hat sie nämlich nicht gewechselt, trotz Umzugs. Dass die meisten alten Geschäfte in der Karl-Marx-Straße inzwischen verschwunden oder durch Billigläden ersetzt sind, findet sie traurig. Dort noch einmal Fachgeschäfte anzusiedeln, hält sie für unmöglich. Wer denn dort einkaufen solle, fragt sie. „Die Leute hier haben gar nicht so viel Geld.“

Von der „geringen Kaufkraft“ in der Gegend spricht auch Almut Boysen (45), die bereits seit 1999 in der „Apotheke an der Post“ in der Karl-Marx-Straße arbeitet. Die Wohnungspreise, selbst für soziales Wohnen, seien in der Gegend sehr hoch, sagt Boysen. Wer hier Miete zahle, könne sich große Einkäufe gar nicht leisten. Viele Probleme im Kiez, auch das der mangelnden Sauberkeit, seien hausgemacht. Erst neulich habe ihr das Ordnungsamt verboten, den Bürgersteig vor der Apotheke selbst zu putzen. Von Seiten des Amtes werde jedoch sehr unregelmäßig gereinigt. „Es ist hier eben kein Touristenbezirk“, sagt Almut Boysen. Mit den Menschen im Kiez, vor allem den Jugendlichen, versteht sie sich gut. „Die haben mittags Langeweile und kommen sich wiegen oder fragen nach kostenlosen Kondomen“, erzählt sie und lacht. Für „gefährlich“ hält sie die so genannten „Gangs“ nicht: „Ich arbeite hier gern.“

Der Wohlfühlkiez

Wenige Kilometer von Almut Boysens Arbeitsplatz in der Karl-Marx-Straße entfernt, im Neuköllner Schlosserweg, raucht Frank Mischko in der späten Nachmittagssonne in seinem Garten ganz entspannt eine Zigarette. Im Hintergrund quakt eine Ente, das Haustier der Familie. Sein Kiez hat im Sozialatlas gute Noten bekommen. Ins Neuköllner Zentrum fahren? Nein, das „mach ich so gut wie nie“, sagt er. Die Karl-Marx-Straße aus seinen Kindheitserinnerungen habe mit der Straße von heute nichts mehr gemein. Lieber bleibt der 47-Jährige in seiner gemütlichen Siedlung am Schlosserweg, in der Nachbarschaftshilfe eine Selbstverständlichkeit ist. Seit fünf Jahren wohnt der ehemalige Erzieher nun an der ruhigen Straße im eigenen Haus.

Auch Mischkos Nachbarin Hannelore Zaech (51) verlässt ihr Haus im Schlosserweg nur selten. Sie schwärmt von der Ruhe in der Gegend, von der Natur und der freundlichen Nachbarschaft. Die Innenstadt sei ihr „zu unsicher“. Wenn sie in ihrem kleinen Garten werkelt und gräbt, dann erinnert nur das entfernte Rattern der S-Bahn daran, dass Zaech eigentlich mitten in Berlin und nicht auf dem Land wohnt. Den Lärm der Autos auf dem Buckower Damm hört man nur gedämpft. „Es ist schon schön hier“, sagt Hannelore Zaech, lehnt sich an ihr kleines Gartentor und blinzelt in die Sonne.

Nebenan öffnet Günter Schulze das große Gatter an seiner Einfahrt. Der 67-Jährige wartet auf ein paar Nachbarn, die regelmäßig bei ihm „zum Kaffeetrinken“ vorbeikommen, bereits seit mehreren Jahren. Mit seiner Frau Monika (60) wohnt Günter Schulze schon seit 1981 im Schlosserweg, das Haus haben sie geerbt. Rund um das Gebäude erstrecken sich 1200 Quadratmeter Garten. „Der ist ein bisschen zu groß“, findet Günter Schulze. Familiendackel Shaki hingegen freut sich über den Auslauf. Ein kleines Nebenhaus im Garten nutzt das Ehepaar Schulze als „Partyraum“. „Bei Neukölln denken immer alle ,mein Gott’“, sagt Schulze und krault seinen Hund. „Dabei fühlt man sich hier wie auf dem Land.“

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