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Good Morning, Herr Horst. So heißt das Lied, dass die schwedische Rockband Mando Diao dem Berliner Obdachlosen Horst Holtfreter gewidmet hat.

© Thilo Rückeis

Berliner Obdachlose: Der Mundharmonika-Mann

Der leidenschaftliche Mundharmonikaspieler Horst Holtfreter hat schon einige Jahre in Schweden auf der Straße gelebt. Die aus dem skandinavischen Land stammende Band Mando Diao hat ihm ein Lied gewidmet.

Der Wind pfeift eisig um die Ecke, in der Horst Holtfreter in tagelanger Arbeit einen mannshohen Schneeberg aufgetürmt hat. In der Spitze stecken ein kleiner Weihnachtsbaum und diverse Wein- und Sektflaschen, denen Holtfreter gerade einen leeren Weinkarton hinzufügt. „Ein bisschen abstrakt vielleicht, aber das ist ja modern“, sagt der 54-jährige Obdachlose und lässt aus fast zahnlosem Mund ein nikotinrauhes Lachen hören.

Im vorigen Winter ist Holtfreter bekannt geworden, als er am Nollendorfplatz ein Iglu baute. In diesem Jahr hat er sich für einen Schneeberg samt kleiner Höhle entschieden, die er neben dem U-Bahnhofeingang mit einer stabilen Schaufel in die vereiste Masse gräbt. In dieser Konstruktion schläft er wie auch schon im vergangenen Winter nicht. „Ich bin doch nicht lebensmüde, Mensch!” ruft Holtfreter laut. Zum Schlafen, Duschen und Essen gehe er in die Notunterkunft in der Lehrter Straße in Moabit.

Mit Holtfreter ist nicht immer gut Kirschen essen, das wissen seine Bekannten von der Platte gut. Vor allem, wenn er zu viel getrunken hat und argwöhnt, sein Gegenüber würde ihm nicht glauben. „Dann kann ich auch schon mal kess werden”, beschreibt Holtfreter diese Ausbrüche und fragt warnend: „Kess kennste doch, oder?“

Doch Holtfreter ist nicht bloß der Mann mit dem Schneehaus am Nollendorfplatz. Richtig berühmt ist er, weil er so viel und gern Mundharmonika spielt, am liebsten mit einem kleinen Weltempfänger am Ohr, so fällt das Musizieren leichter. Da er fast sechs Jahre in Stockholm auf der Straße lebte, hat er seit einiger Zeit sogar eine stetig wachsende, zu einem großen Teil schwedische Fangemeinde auf Facebook. Zurzeit hat die Seite „Munspelsmannen” – zu Deutsch „Mundharmonika-Mann” – fast 22 000 Fans. Und nicht nur das, die schwedische Rockgruppe Mando Diao hat Holtfreter vor einigen Jahren sogar einen Song gewidmet: „Good Morning, Herr Horst“ heißt er und handelt von einem Menschen, der den Schmerz über die zwischenmenschlichen Verluste in seinem Leben mit Pillen und Alkohol bekämpft, obdachlos wurde und nicht mehr weiter als bis zum „monday glass“, dem ersten Drink der Woche, denken möchte.

In einem Interview erzählten die Bandmitglieder einmal, wie es zu dem Lied kam: Sie haben Horst zufällig auf einer Straße in Stockholm getroffen. Es sei dunkel gewesen, sie haben ihn kaum erkennen können und gaben ihm ein paar Euros. „Eine sehr seltsame Situation, aus der dieser Song entstand“, soll Keyboarder Mats Björke sich erinnert haben. Holtfreters Geschichte dieses Kennenlernens geht ein wenig anders: Es ist ein Sommertag auf dem Sergels torg, einem im Volksmund „Plattan“ genannten zentralen Platz in Stockholm. Während Holtfreter wie immer mit seinem Radio am Ohr Mundharmonika spielt, baut 20 Meter weiter eine junge Rockband ihre Anlage samt Verstärker und E-Gitarren auf. „Die haben toll gespielt, richtig Rock‘n‘Roll, wa!“ erinnert sich Holtfreter begeistert. Er habe sich dann nach einer kurzen Absprache mit der Band dazugesellt und mal die Melodie, mal den Rhythmus und Bass begleitet. „Ich bin richtig ran ans Mikro, so laut hab ich echt noch nie gespielt“, erzählt Holtfreter. Den Song „Good Morning, Herr Horst” hätte er irgendwann später mal gehört. „Find ich dufte“, sagt Holtfreter knapp, mit der eigenen Berühmtheit hat er es nicht so. Mehr mit seiner Mundharmonika, die ihm vor acht Jahren zwei junge Frauen schenkten und auf der er erst nur ein russisches Weihnachtslied spielen konnte.

Heute reicht sein Repertoire dank des Radios von Rock über Country bis hin zu Schlagern. „Manche Leute glauben, ich hätte eine Pferdelunge, weil ich so ausdauernd spiele. Die wissen aber bloß nichts von den Luftlöchern im Instrument”, erzählt Holtfreter und freut sich diebisch. Und mit Stockholm hat er es, da möchte er unbedingt bald wieder hin. Nach dem 20. Januar könnte es so weit sein, denn da ist seine zweijährige Einreisesperre beendet. Die schwedischen Behörden hatten sie zusammen mit einer Ausweisung verhängt, nachdem Holtfreter im Rausch einen Mann verprügelt hatte. „In Stockholm gefällt es mir”, sagt Holtfreter. Man bekäme dort als Straßenmusikant viele Kronen zugesteckt. Wenn alles klappt, will er mit seinem Freund Norbert, der Gitarre spielen kann, schon Ende Januar vom Zentralen Omnibusbahnhof aus mit dem Bus nach Stockholm starten. Dass sein Schneehaus bei den angekündigten Plustemperaturen in den kommenden Tagen schmelzen könnte, stört ihn also gar nicht sehr. „Dann komme ich einfach nächsten Winter wieder”, sagt Holtfreter und setzt seine Mundharmonika an. Die 70 Euro für die Busfahrt wollen erst noch verdient sein.

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