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Harald Ehlert

© Rückeis

Berliner Treberhilfe: Hol schon mal den Maserati

Darf man das: Sozialarbeit leisten und teure Autos fahren? Harald Ehlert von der "Berliner Treberhilfe" nennt solche Fragen "bigott". Er sagt lieber: "Ich bin ein Sozialkapitalist." Schließlich ist er Chef eines Unternehmens mit zwölf Millionen Euro Umsatz.

Der Mann mit dem Cowboyhut schnaubt kalte Luft durch die Nase und schaut kurz auf ins Schneeflockengewimmel. Sein Spielzeug, der 400-PS-Maserati, "ein sehr werthaltiges Auto", muss heute zu Hause bleiben, garagenbehütet. Das liegt an seiner Schleuderneigung, aber auch daran, dass der Cowboyhut-Mann vorsichtiger geworden ist im Umgang mit seinem Besitz. "Das sind ja Millionenwerte. Früher hatten wir 500 Mark in der Vereinskasse."

Drinnen im kleinen Festzelt an der Osloer Straße im Wedding trinken die Damen vom Sozialamt und die Herren vom Bau Sekt und Thermoskannenkaffee, weil wieder ein Besitzstück fertig geworden ist, ein niedliches Hochhaus mit vielen kleinen Wohnungen für Wohnungslose. Vor der Renovierung war es das verrottete Obdachlosenheim des Bezirksamts Mitte, jetzt ist es das Wohn- und Reintegrationsprojekt "Panorama Nord" der Berliner Treberhilfe. Zwei Millionen Euro hat die Hilfsorganisation in das Haus investiert, und die Mitarbeiter des Bezirksamts sind voll des Lobes, wie schön alles geworden sei. Harald Ehlert, der Mann mit dem Cowboyhut, hält eine Rede am gläsernen Pult, mit kräftiger Stimme. Er ist der Boss der Treberhilfe, seit 20 Jahren schon. Mittes Bezirksbürgermeister Christian Hanke nennt ihn auch gerne und mit vollem Recht den "Big Boss".

Sie sind zusammen groß geworden, Harald Ehlert und die Treberhilfe. Zuerst gab es diesen kleinen Laden in der Mansteinstraße, Schöneberg, ein ehrenamtlich betriebenes Nachtasyl für weggelaufene Punks und beschaffungskriminelle Junkies. Menschen, für die das heute angestaubt wirkende Wörtchen "Treber" damals noch durchaus üblich war. Heute, 20 Jahre nach ihrer Gründung, ist die Treberhilfe ein mittelständisches Unternehmen in der Sozialbranche. Die Kennzahlen: zwölf Millionen Euro Umsatz, 600 000 Euro Gewinn, sieben Millionen Euro Investsumme in drei Jahren, 209 Mitarbeiter.

Es gibt Anfeindungen und Neid. Big Boss Harald Ehlert sei ja kein Sozialarbeiter mehr, und die Treberhilfe mache mit Dumpingpreisen die übrige Berliner Projektelandschaft platt. Um Berlins 10 000 Obdachlose konkurrieren mehr als 30 mildtätige Organisationen. Denn jeder sozial Gestrandete hat Anspruch auf staatliche Leistungen, ist somit zahlender Kunde. Im "Panorama Nord" bekommt die Treberhilfe pro Person und Tag 14,50 Euro, "ein Kampfpreis", sagt Ehlert. Die Konkurrenten, die das Obdachlosenheim auch gerne betrieben hätten, gingen leer aus.

Bei Weihnachtsfeiern ist Big Boss nicht knauserig

Für "Beratung und Hilfe" von Obdachlosen gibt Berlin jährlich 28 Millionen Euro aus. Die Kosten für die Unterbringung kommen vom Jobcenter - Höhe unbekannt. Bei minderjährigen Trebern greifen die "Hilfen zur Erziehung", das Jahresbudget liegt bei 320 Millionen Euro. Ein lukrativer Markt, in dem künftig, so die Prognose einiger Experten, "transnationale Sozialkonzerne" mitmischen werden.

Neid wertet Ehlert vor allem als Zeichen von Erfolg. Leute, die in der Sozialbranche arbeiten, müssten nicht mehr "in Sack und Asche" herumlaufen, sondern elegant im Businessdress, als Ausdruck ihrer gelungenen Emanzipation. "Wir dürfen wie alle anderen teilhaben an den schönen Dingen des Lebens."

Die Weihnachtsfeier der Treberhilfe war dieses Jahr ein großes Fest in den Hackeschen Höfen. Big Boss ist da nicht knauserig. Die Mitarbeiter gehen regelmäßig zur Management-Fortbildung im firmeneigenen Tagungszentrum, einer renovierten Villa am See im Heile- Welt-Refugium Caputh. Dort hat auch Harald Ehlert seinen Zweitwohnsitz genommen. Wasser beruhigt ihn, den Unruhestifter.

Einige Caputher haben sich über ihren neuen Nachbarn etwas gewundert. Die Treberhilfe in einer Villa, der Chef im Maserati? Sieht so modernes Samaritertum aus? Das deutsche Spenderherz erwärmt sich eher für bescheidene, selbstlose Helfer wie den Schauspieler Karlheinz Böhm oder den Asketen Rüdiger Nehberg.

Dann kam diese Anzeige im Tagesspiegel, eine halbe Seite Glückwunschtelegramm an den gewählten US-Präsidenten Barack Obama. "Der erste Sozialarbeiter im Weißen Haus." Darf eine wohltätige Organisation mit dem kleinen "g" für gemeinnützig im Namen für so etwas Geld ausgeben? Nein, fanden die Capu ther Nachbarn und schickten empörte Briefe an die Treberhilfe. Spenden würden sie jetzt bestimmt nicht mehr.

Ehlert schämt sich nicht für seinen Masarati

Briefempfänger Harald Ehlert sitzt tief eingesunken in seinem schwarzen Bürosofa und rechnet missmutig vor, wie viele Spendengelder die Treberhilfe im Jahr so einnimmt. "Vielleicht 40 000 Euro." Es klingt wie Peanuts. Spenden sind nicht sein Thema. In Ehlerts Zahlenwelt geht es um "Zuwendungen" und "Entgelte", um "Kostenübernahmen", "Kreditierungen" und "Liquiditätsreserven". Stolz ist der Boss auf seine "Treberbank", ein Institut, das Bedürftigen Mieten und sonstige Hilfsgelder vorstreckt. Im Vereinsvorstand der Treberhilfe sitzt ein echter Banker.

Er könnte auch Marmelade produzieren, sagt Ehlert. Nur würde es ihm nicht halb soviel Spaß machen. Also produziert er Hilfsleistungen für Menschen. Sein Unternehmer-Vorbild ist Heinz Nixdorf, der mal im sozialen Problembezirk Wedding Computer zusammenbauen ließ.

Die Moralkritik der Caputher Bürger unterscheidet jedoch streng zwischen Marmelade und Computern auf der einen und Mildtätigkeit auf der anderen Seite. Ehlert findet das "bigott". Spekulanten, die mit den Gewinnhoffnungen von Kleinsparern Luftschlösser errichten und wieder zum Einsturz bringen, dürften anstandslos Porsche fahren, und er, Ehlert, der Tausenden von Gestrandeten aus der Not geholfen hat, soll sich für seinen Maserati schämen? Niemals. Der Maserati und die Obama-Anzeige sind ein bisschen wie der Cowboy-Hut, ein echter Stetson übrigens. Harald Ehlert liebt die gezielte Provokation, gepaart mit ästhetischen Ausrufezeichen.

Zwei Wochen später. Harald Ehlert hat zur Rundreise durch sein Imperium geladen. Er erscheint im Fond eines bulligen BMW, ein "Sports Utility Vehicle", stadtgängiges Jeep-Format. Der BMW kostet neu zwischen 50.000 und 70.000 Euro, ist aber nur geleast, genau wie der Maserati. Während Herr Meister, der Chauffeur, den nächsten Termin ansteuert, kann sein Chef hinten Fernsehen gucken oder mit seiner Sekretärin telefonieren.

Die Zeit der Expansion war toll

Erste Station ist das Büro der Treberhilfe-Straßensozialarbeit in der Yorckstraße. Die Sozialarbeiter, die noch richtig aussehen wie Sozialarbeiter früher aussahen, etwas gebeugt und müde, haben gerade "Teamsitzung", als ihr adrenalinbefeuerter Boss mit Pressereferentin, Fotograf und Reporter hereinplatzt. Die Yorckstraße gehört zu den Urzellen der Treberhilfe. Hier hat Unternehmer Ehlert, als er noch selbst Sozialarbeiter war, Nachtwachen geschoben. Die letzte, irgendwann 1992, hat er noch gut im Gedächtnis. In den Etagenkojen dösten wieder einige Junkies, als nachts gegen halb zwölf ein türkisches Mädchen klingelte. Sie war von ihrer Familie weggelaufen, weil sie zwangsverheiratet werden sollte. "Ich konnte die halbe Nacht nicht schlafen", erzählt Ehlert, aus Angst, dass die Junkies irgendeinen Blödsinn mit dem Mädchen anfangen. "Die hatte ja keine Ahnung von Drogen."

Das Nachtasyl der Treberhilfe war der Gegenentwurf zur "Läusepension", billigen Absteigen, in denen Obdachlose, Verwirrte und Menschen in Not sich selbst überlassen blieben. Betreiber dieser Pensionen hatten oft noch ein Nebengeschäft: Prostitution.

1990 expandierte die Treberhilfe in den Ostteil der Stadt. Eine tolle Zeit, sagt Ehlert. Den Schlüssel zum ersten Laden, in dem bisher das Wohnblockaktiv tagte, holte er persönlich beim SED-Kreissekretär ab. Der ließ sich die Herausgabe quittieren. 150 ABM-Leute wollte ihm das Arbeitsamt überlassen, ihm reichten zwölf. Im "Arbeitsausschuss", dem Beschlussgremium der Treberhilfe, stießen Ost-Pragmatiker auf West-Fundamentalisten, und Ehlert als überzeugter Realo freute sich über den befreienden Systemstreit um Tabuthemen wie Sauberkeit und Sanktionen. Während die Ostler selbstverständlich "Akten" anlegten, schrieben West-Kollegen gemäß ihrer staatskritischen Grundhaltung immer nur "Mappen" voll.

Aus den Treberläden wurden mit den Jahren Treberhäuser. Das "Wohnprojekt Mitte" in der Ackerstraße könnte auch eine renommierte Kanzlei beherbergen, so schön glänzt die Messing-Klingelleiste neben dem grafisch veredelten Treberhilfe-Werbeschild. Die Projektleiterin, Birgit Karsten, hat ihr Büro im Dachgeschoss und brütet über zahlengesättigten Excel-Tabellen. Bei ihrer Einstellung vor 13 Jahren hatte Ehlert sie gefragt, ob sie eine Bilanz lesen könne. Sie konnte.

Birgit Karsten ist jetzt "Regionalleiterin Mitte" und kümmert sich vor allem um den "Vertrieb".

Wie bitte, Vertrieb?

Frau Karsten schaut hilfesuchend zu ihrem Chef. Es entsteht ein kurzer Moment der Unsicherheit. Dann geht Ehlert in die Offensive: "Im Sozialsprech würde man Öffentlichkeitsarbeit sagen, aber das verschleiert die Sache nur. Ich bevorzuge Wirtschaftssprech."

Eine Mischung aus Mutter Teresa und Dagobert Duck

Nun kann Frau Karsten im Wirtschaftssprech fortfahren: "Vertrieb heißt, mit Kostenträgern sprechen, mit Amtsleitern oder Sozialarbeitern, und sagen, warum wir besser sind als die anderen."

Einen Fahrstuhl gibt es im Treberhaus Mitte nicht, was die Besuche des Big Boss deutlich erschwert. Harald Ehlerts Bauch ist mit seinem Unternehmen mitgewachsen. Früher rauchte er 60 Zigaretten am Tag. Damit hat er aufgehört. Vor ein paar Jahren gab es mal eine ernste Herz-Kreislauf-Geschichte, über die er nicht reden möchte. Deshalb hat der 46-Jährige auch die Politik zurückgefahren. Zwei Jahre saß Ehlert als SPD-Haushaltsexperte im Abgeordnetenhaus, danach in der BVV Schöneberg, jetzt macht er nur noch im Jugendausschuss der Landes-SPD mit.

"Meister, rechtsrum." Der Ton ist ruppig, wenn Harald Ehlert mit seinem Chauffeur spricht. Herr Meister ist ein stiller, beflissener Mensch, der sich gerne dem BMW-Bordcomputer anvertraut. Harald Ehlert entscheidet lieber selbst, wie man am besten nach Adlershof kommt. "Hier hätten wir links sollen." Dann steht Herr Meister erst mal im Stau.

Was ist die Treberhilfe. Gibt es eine Identität, ein Leitbild?

"Wir sind eine Mischung aus Dagobert Duck, Mutter Teresa und Horst Schimanski. Ich selbst verstehe mich als evangelischer Sozialkapitalist."

Warum ist die Treberhilfe so erfolgreich?

"Wir denken uns neue Projekte aus und bearbeiten die Kostenträger so lange, bis die das finanzieren. Und wir sind preisbewusst."

Ein langjähriger Mitarbeiter: "Der Harald ist wie ein Hai. Der beißt sich fest und lässt dann nicht mehr locker."

Im Hof stehen die Einsatzautos: weiße BMW, Laptop inklusive

In Adlershof steht die "Villa Chance", die Treberhilfe-Notaufnahme für Kinder und Jugendliche. 150 Jugendliche ziehen jedes Jahr ein und wieder aus. "85 Prozent werden positiv vermittelt", sagt Ehlert, zurück in die Familien oder in andere Hilfsprojekte. Wegen der rigiden Sparmaßnahmen des rot-roten Senats hat die Treberhilfe hier über Jahre Geld zugeschossen, etwa eine Viertelmillion. Damals stand das gesamte Unternehmen vor dem finanziellen Ruin. Doch Aufgeben gilt nicht. Ehlert feilte so lange an den Strukturen, bis das Unternehmen wieder schwarze Zahlen schrieb. Der Big Boss, die Hände in den Taschen, inspiziert im Vorbeigehen die schmutzigen Wände. "Der Dreck kriegt hier sofort Junge", sagt er. Da müsse die "Service-Abteilung Haustechnik" mal wieder durchsanieren, das Haus habe einen "hohen Wirkungsgrad". Gemeint ist: Verschleiß.

Ehlert lässt die Büros seit kurzem von einer Einrichtungsfirma ausstatten, damit sich die Mitarbeiter weiter "emanzipieren" können. Die Schreibtische haben Kirsche-Dekor, die Aktenschränke dito, unterbrochen von dunkelgrau satinierten Glasscheiben. Vor einer gefühlten Ewigkeit, in den 80er Jahren, saßen die Treberhilfe-Leute am gespendeten Naturholztisch zusammen mit den Punks und den Pennern. Alle waren gleich. "Es gab lange Diskussionen, ob ein Sozialarbeiter am Schreibtisch sitzen darf", erzählt Ingo Tuchel, ein alter Kollege von Ehlert. Heute muss er grinsen, wenn er daran denkt.

Jedes Jahr entwickelt Ehlert mindestens zwei neue Produkte für den Sozialmarkt. Sein neuestes ist das "Stop-Projekt" in Neukölln. Dafür hat er besonders viele Hände schütteln müssen, im Abgeordnetenhaus, im Bezirksamt und bei der Polizei. Die "Stop"-Sozialarbeiter sollen eingreifen, wenn Jugendliche straffällig werden, und verhindern, dass sie weiter in die Kriminalität abrutschen. Im Hof der Stop-Zentrale an der Sonnenallee stehen schon die "Einsatzfahrzeuge" der schnellen "Task Force", drei weiße BMW mit integriertem Laptop. Ob das Projekt sich rechnen wird, ist zweifelhaft. Das Risiko ist deutlich höher als im Kerngeschäft. Ehlert ist das egal. "Das muss einfach gemacht werden." Er sagt von sich, er kalkuliere "warm, mit Leidenschaft". Das unterscheide ihn vom Renditehai.

Ist eben doch ein Mildtätiger geblieben, Big Boss im bulligen BMW. Für nächste Woche hat sich die "Treberhilfe Dresden" bei ihm angemeldet. Die haben den Namen kopiert, arbeiten aber völlig eigenständig. Da müsste man jetzt doch klagen oder gleich eine feindliche Übernahme starten. Doch Ehlert spricht sanft wie ein Vater, der seinen Zögling heranwachsen sieht. Er wolle die Dresdner nur ein wenig unterstützen.

Thomas Loy   

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