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Berlins historische Mitte: Post aus Plettenberg

"Alexanderstraße, 1907", steht auf dem Umschlag mit seltenen Aufnahmen aus dem alten Berlin. Eine Spenderin hat sie dem Stadtmuseum überlassen.

Plötzlich weht ein Hauch Vergangenheit durch das elegante Ephraim-Palais: Da stehen Mitarbeiterinnen des Stadtmuseums ganz gebannt um eine große Mappe mit einem Schatz, der ihnen plötzlich und unerwartet als Schenkung ins Haus kam. „Das sind Fotos von sehr bedeutenden Fotografen, die uns ein Stück Berlin zeigen, das es so längst nicht mehr gibt, die aber das Mosaikbild, das wir von unserer Stadt haben, weiter vervollständigen“, sagt Ines Hahn, Kuratorin für Fotografie im Stadtmuseum, „Herrscherin“ über 250 000 Fotos, allein 25 000 davon aus der Zeit um die Jahrhundertwende. „Aber diese Bilder hier vom Hoffotografen Hermann Rückwardt, vom Architekturfotograf Franz Kullrich und der Porträtfotografin Hanni Schwarz sind neu für uns“, strahlt Katja Grunert, „deshalb macht uns diese Foto-Spende sehr froh“.

Auf dem Umschlag steht in großen Lettern „Alexanderstraße 41, 1871 – 1907.“ Barbara Seega, geborene Franz, eine Realschullehrerin, die mit der Foto-Mappe aus ihrem Familienbesitz vom sauerländischen Plettenberg nach Berlin gekommen war, ist die Ururururenkelin von Johann Christian Knoblauch, dem Erbauer des nach ihm benannten Hauses im Nikolaiviertel. Ihre Vorfahren lebten im Hause Alexanderstraße 41, und die Fotos erzählen, wie man dort, auf dem Alex, mitten in der Stadt, um die vorvorige Jahrhundertwende gewohnt hat: geradezu idyllisch. Mit Garten hinterm Gebäude, mit Springbrunnen, umrahmt von Bäumen und Sträuchern. Aus dem dreigeschossigen Backsteinbau blickte man direkt auf den Alexanderplatz, wo sich wie ein breiter, verzierter Riegel das Kaufhaus Tietz hinter einem grünen Schmuckplatz erhob. Das Gebäude, das schon 1907 einer Umgestaltung des Alex’ weichen musste, stand ungefähr an der Stelle vom heutigen „Haus des Lehrers“.

„Dieses Grundstück bildete über Jahrzehnte das Zentrum der miteinander verschwägerten Kaufmannsfamilien Keibel, Franz und Knoblauch. Sie gehörten zu den führenden Berliner Bürgerfamilien mit besten Kontakten zum königlichen Hof und zur bürgerlichen Oberschicht“, hat Jan Mende vom Stadtmuseum herausgefunden. Mit großer Selbstverständlichkeit nahmen die Mitglieder dieser Familien öffentliche Aufgaben als Stadtverordnete, Kirchenvorstände und Leiter verschiedener Vereine wahr. Dieses „Etwas fürs Allgemeinwohl zu tun“ hat sich offenbar vererbt, „wir möchten diese Tradition bewahrt wissen“, sagt Barbara Seega und erzählt von Familientreffen mit über hundert Nachfahren und deren Paten-Netzwerke. Ein Förderverein pflegt dabei das Erbe des Architekten Knoblauch, Barbara Seega gehört dazu.

Unter den Fotografien, die ihr Vater gesammelt und über die Zeiten und zahlreiche Umzüge gerettet und bewahrt hat, sind mehrere Porträts der Fotografin Hanni Schwarz und elf Bilder vom Hoffotografen Hermann Rückwardt, einem der ersten Berliner Architektur- und Stadtfotografen von überregionaler Bedeutung. Deshalb ist er auch mit einigen Bildern in der erfolgreichen aktuellen Ausstellung „Berlins vergessene Mitte“ vertreten. Man kann sie noch bis 25. März im Ephraimpalais besuchen. Ines Hahn, die Bilderfrau, erzählt temperamentvoll vom großen Echo eines Aufrufs des Stadtmuseums an die Berliner, Fotos, Bilder, Gemälde und Gegenstände des täglichen Gebrauchs für diese Schau zur Verfügung zu stellen. „Sie glauben ja gar nicht, wie viel Schönes und manchmal auch Wertvolles auf Böden, in Kellern und Wohnzimmerschubladen schlummert“, sagt die Kuratorin. Etliche dieser Funde sind Teil der Ausstellung über die verlorene Mitte, manches allerdings konnte man nicht gebrauchen. Auch das Fassungsvermögen eines Depots für eingelagerte Geschichte ist begrenzt. Man darf raten und staunen, wie viel Einzelstücke – von Fotos über Urkunden bis zum handfesten Sachzeugen – im Depot im Märkischen Museum und anderswo in der Stadt lagern: 4,5 Millionen!

Die Spenderin aus dem Sauerland ist von der Schau sehr angetan und sieht, dass die Fotos, die sie dem Stadtmuseum schenkt, in guten Händen und in bester Gesellschaft sind. „In der Ausstellung zeigt sich Berlins stetiger Wandel und sein ständiges Neuerfinden“, sagt sie, die oft die Stadt ihrer Vorfahren besucht und von diesem typischen Berliner Tempo fasziniert ist. Aber dann zögert sie doch bei der Antwort auf die Frage, wie sie denn heute den Alexanderplatz findet, auf dem fast vierzig Jahre lang das Haus ihrer Vorfahren stand? „Nicht schön – darf ich das mal so sagen?“ Und warum? „Man kann ihn so, wie er jetzt ist, nicht mehr als Platz wahrnehmen.“

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