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Christa Wolf: Die Verbohrtheit der Funktionäre

Eine Lesung mit Christa Wolf im Weddinger Lichtburgforum

Schon lange vor ihrer Lesung sitzt Christa Wolf auf der Bühne und blickt unbewegt ins Publikum, fast wie ein Monument. Auch die Zuhörer sind längst da, ist doch dieser Samstagabend im Lichtburgforum an der Weddinger Behmstraße einer ihrer mittlerweile seltenen Auftritte – eine Veranstaltung mit dem Tagesspiegel in der Reihe „Wiedersehen mit den Großen“.

Tagesspiegel-Herausgeber Hermann Rudolph, Moderator des Abends, stellt zunächst das Buch vor, aus dem Christa Wolf lesen wird: „Ein Tag im Jahr“. 41 Mal hat sie darin den Tagesablauf eines 27. Septembers festgehalten – von 1960, als eine sowjetische Zeitung Schriftsteller dazu aufrief, bis 2001. Dann liest die Autorin: Zunächst von einem Tag 1961, als sie an „Der geteilte Himmel“ arbeitete. Vom Alltag mit dem Mann und den kleinen Töchtern, von Märchenbüchern, Teddybären, Problemen im Kindergarten, Schulwegen und Königsberger Klopsen. Aber auch von ihren Gedanken über „die unselige Spaltung Deutschlands“ und Diskussionen über die Frage, was die Familie Wolf eigentlich in der DDR hält. Sie liest ruhig, mit klarer, etwas gleichförmiger Stimme. Blickt die meiste Zeit aufs Buch und nur manchmal sehr kurz ins Publikum. Wenn im Publikum über lustige Anekdoten gelacht wird, bleibt sie ernst.

Dann macht sie „einen weiten Sprung zum Jahr 1990, dem Wendejahr“, wie sie sagt. Doch das Wort „Wende“ gefalle ihr nicht, „weil es nicht passt. Das wird jetzt ziemlich politisch, hoffentlich langweilt Sie das nicht.“ Und sie liest über jene Zeit, als sie plötzlich von „der gesamtdeutschen Autorin, die ich zu DDR-Zeiten war, zur DDR-Schriftstellerin wurde“, wie sie später in ihrer trockenen Art sagt. Im Publikum wird gelacht, sie guckt ernst.

Und schließlich löst sie noch einige überraschte Ohs und Hohos im Publikum aus: „Die beiden Staaten waren sich ja gar nicht so unähnlich.“ Vor allem die „verbohrten Funktionäre“ auf beiden Seiten, der Anspruch, ständig die Produktivität steigern zu müssen, und die „patriarchalischen Strukturen“ in der Gesellschaft. Sonst seien sich die Staaten natürlich unähnlich gewesen.

Zuletzt wird Christa Wolf noch von zahlreichen Lesern belagert, die sich gleich stapelweise Bücher signieren lassen wollen. Mit stoischer Miene bleibt sie auf der Bühne sitzen. Und unterschreibt. 

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