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Couchsurfer: Paradies für Billiglieger

Die Internet-Seite couchsurfing.com verzeichnet 600.000 Mitglieder aus 200 Ländern: Warum Berliner wildfremde Touristen bei sich auf der Couch übernachten lassen.

Philip Eggersglüß hat zehn Anfragen pro Tag. Das sind selbst für ihn zu viele, obwohl er wirklich gerne Gäste bei sich hat. Im Sommer wollen einfach alle nach Berlin. Auf die Couch, als fremder Gast, umsonst.

Couchsurfing.com, so heißt die Internetseite, auf der man sich einen Schlafplatz überall auf der Welt organisieren kann. Wenn es klappt, ist man zu Gast bei Fremden, die dann vielleicht Freunde werden. Dazu stelle man sein Profil ins Internet, beschreibe seine eigene Couch und sage, ob sie „vielleicht“, „sicher“ oder „ganz sicher“ frei ist. Das Prinzip ist einfach: Menschen, die gerne reisen, übernachten umsonst bei anderen Menschen, die auch gerne reisen. So sieht man in Paris nicht nur den Eiffelturm, sondern trinkt seinen Wein gleich mit seinen neuen französischen Freunden darunter, und in Berlin steht man mit der WG in der Altbauküche, statt im Hostel zu hocken. Der Erfinder des Übernachtungsnetzwerks heißt Casey Fenton, Jahrgang 1978, die Idee kam ihm auf Reisen, denn er wollte die Einheimischen kennenlernen und nicht die anderen Touristen. 1999 registrierte er die Seite couchsurfing.com, erst waren sie noch zu dritt im Forum, jetzt sind es 600000 Mitglieder aus über zweihundert Ländern. Und Berlin ist eines der gefragtesten Ziele.

„Dass man nichts zahlt, ist ein guter Nebeneffekt, aber nicht Sinn der Sache,“ sagt Philip Eggersglüß, 26, am Holztisch seiner Küche in Prenzlauer Berg. Beim Couchsurfen gehe es darum, sich von den „Locals“, den Leuten vor Ort, ihre Stadt und ihren Alltag zeigen zu lassen, statt Sightseeing zu machen. Genauso benimmt er sich auch als Gastgeber: Er kocht mit seinen Couch-Gästen, geht mit ihnen auf Partys oder tagsüber spazieren, je nachdem. Seine letzten Gäste kamen aus Paris, ein Paar Anfang 60, sehr nette Leute, leider hatte er nicht viel Zeit an dem Wochenende, aber immerhin haben sie an einem Abend zusammen gekocht. Dass man in dem Alter noch Couch surft, Respekt!

Das Sympathische an den Couchsurfern ist, dass es einem nicht direkt nutzt. Man beherbergt einander, einfach so. Auch, weil man vielleicht einmal selber Gast sein wird. Aber vielleicht auch nicht. Nachzählen tut keiner. Und vertrauen muss jeder. Nicht immer ohne Folgen: Vor ein paar Monaten wurde ein Fall eines Diebes bekannt, der ein paar geruhsame Nächte nutzte, die Wertgegenstände seiner Gastgeber zu sichten und am letzten Tage einzupacken. Mitgliederschwund gab es bei den Couchsurfern trotzdem nicht. Im Gegenteil. „Letztendlich muss man auf sein Gefühl vertrauen,“ sagt Clara, 20, Couchsurferin aus Zehlendorf. Als Anhaltspunkte hat man das Foto im Internet, die Art, die Selbstbeschreibung des Bewerbers und die Kommentare der Gäste und Gastgeber, die bereits mit ihm zu tun hatten. Clara ist letztes Jahr nach dem Abi nach Indien gereist und dort zum ersten Mal Couch gesurft. Ihr erster Gastgeber wohnte noch bei seiner Mutter, um die Couch freizumachen, zog der Rest der Familie in ein Zimmer. Ein wenig unangenehm sei ihr das gewesen, aber auch schön, denn für die Gastgeber sei sie ein Stück andere Welt gewesen. Auch sie selbst lebt noch bei den Eltern, ihre Geschwister sind schon aus dem Haus, in den leeren Betten liegen jetzt die Couchsurfer. Das seien vielleicht große Worte, sagt sie, aber eigentlich gehe es um Völkerverständigung.

Das meint auch Hyun Chiang, bei einer Tasse Kakao im Café in Prenzlberg. Er ist noch Anfänger, wie er sagt. Natürlich gebe es auch bei den Couchsurfern wie in jedem Netzwerk Freaks mit nicht enden wollenden Freundeslisten, die 24 Stunden online sind. Doch anders als bei kompletten Zweitleben im Internet gehe es darum, sich irgendwann tatsächlich persönlich zu treffen. „Dies ist keine Datingplattform“ – steht in den Statuten der Couchsurfer. Stimmt. Welches Blind Date kommt schon gleich mit dem Rucksack auf dem Rücken.

Johanna Lühr

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