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© Uwe Steinert

CSD: Flowerpower mit 580 PS

Ohne Trucks keine Parade: 51 Wagen rollen am Samstag durch die City. Einer davon erinnert an den Beginn der Homosexuellen-Bewegung.

In die Heidestraße kommt man als Berliner ja eher selten. Wozu auch? Es herrscht die große Leere hier in der Nähe des Hauptbahnhofs, ein aus der Zeit gefallener Ort, in dem vereinzelt überraschend gut erhaltene Relikte der industriellen Vergangenheit Berlins aufragen.

Hier an der Heidestraße ist genug Platz, um große Wagen zu dekorieren. Am Sonnabend wälzt sich der Umzug zum Christopher Street Day durch die Innenstadt, und der wäre ohne Trucks undenkbar. Und so verlieren sich an diesem Freitagnachmittag etwa 20 Menschen in der riesigen urbanen Brache. GMF- Party-Gründer Bob Young schleppt einige Schilder heran, auf denen nicht mehr ganz taufrische Slogans stehen: „Out and proud“ zum Beispiel, „Queer is here to stay!“ oder „Radical Lesbians Unite!“ Es sind Sprüche von Aktivisten, die vor 40 Jahren die Befreiung der amerikanischen Homosexuellen erkämpft haben. Am 27. Juni 1969 wehrten sich erstmals Schwule, vor allem Tunten, in der New Yorker Bar „Stonewall Inn“ gegen willkürliche Razzien der Polizei. Es war der Urknall für die moderne Schwulenbewegung, und obwohl der diesjährige Berliner CSD exakt auf dieses Datum fällt, nimmt das Motto keinen Bezug darauf. Stattdessen heißt es „Stück für Stück ins Homoglück“.

Wenigstens Bob Young, der bei seinem Coming-out im amerikanischen Memphis Anfang der achtziger Jahre die Blütezeit der schwulen Szene nach Stonewall und vor Aids noch selbst mitbekam, will daran erinnern. Vor dem Tieflader, den das GMF, und der schwule Fernsehsender Timm TV gemeinsam nutzen, fährt ein New Yorker Polizeiauto, dahinter werden Teilnehmer im 60er-JahreOutfit demonstrierten. Am nachfolgenden Versorgungswagen hängt ein knalliges Flowerpower-Tuch, das Young auf dem Türkenmarkt am Maybachufer erstanden hat. Die beiden Toilettenhäuschen, auch sie Teil der Parade, haben rosa Wände, aber die seien schon so geliefert worden, versichert der GMF-Macher.

Dieter Kaiser wird das schwule Treiben am Sonnabend mit entspannter Belustigung beobachten. Der 50-Jährige aus dem fränkischen Forchheim fährt den 580-PS-Tieflader, Marke Kenworth, gebaut 1986 in Kanada. Für ihn ist der CSD nur eine Veranstaltung unter vielen, er ist für den DGB genauso unterwegs wie für den Weltjugendtag. Ob schwul oder nicht, macht für ihn keinen Unterschied. Nach 40 Jahren fällt kaum noch auf, wie viel Stonewall verändert hat.

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