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Stadtleben: Das Ende von West-Berlin

In den 70er und 80er Jahren wirkte kein Ort öder als der Potsdamer Platz – trotz der Magnetschwebebahn

Dieser Ort war das letzte, damals. Ein Unort, staubig, schrottig, windzerzaust. Von allen verlassen außer von eine paar Touristen, die vom Aussichtsturm am Potsdamer Platz einen langen Blick auf den Todesstreifen und den fernen Osten Berlins werfen wollten. Der Potsdamer Platz – das war in Teilungszeiten das Ende von Berlin-West. Hier hatte in den 70er und 80er Jahren der Stillstand seinen Ort. Hier war die Geschichte gegen die Mauer geknallt, vor vielen Jahren schon, und nun wuchsen darüber Gras und Sträucher.

Ein sagenhafter Ort. „Das war mal der verkehrsreichste Platz Europas!!“, tönten die Leute, die sich damals noch für die Stadtgeschichte interessierten. Längst rauschte der Verkehr, vom Westen kommend, über die Entlastungstraße: Vorbei an der Nationalgalerie, an der Staatsbibliothek, dann durch eine scharfe Kurve Richtung Norden, Richtung Moabit und Heidestraße. Die Potsdamer Straße, die sagenhafte, pflastersteingepflasterte, endete an der Mauer zur Zone. Ein paar Straßenbahnschienen lagen noch, zu nichts mehr nutze. Aber das gehörte (schon) damals zu den faszinierenden Aspekten des Berlinischen Lebens: Geschichtsreste blieben einfach liegen. Nichts wurde weggeräumt.

Bloß waren die Versuche, dem Politsymbol und Geschichtsmuseum West- Berlin eine glänzende Zukunft zu geben, bis zum Potsdamer Platz nicht gekommen. Sicher, die Potsdamer Straße war schon damals etwas herunter gekommen. Aber zwischen diese leicht trunksüchtigen Altbaugegend und dem öden Platz hatte der freie Westen die wunderbare Nationalgalerie, die Philharmonie und die geistdurchströmte Staatsbibliothek installiert, drei schön- besondere Orte, um zu sehen, zu gehen, zu hören, zu lesen und zu studieren, was das Geistesleben hergab. Ja, West-Berlin war auf seine Weise gerade hier, wo die Stadt in Richtung ihrer alten Mitte langsam ausfranste, sehr verträumt und kulturvoll.

Und dem Scheitern sehr nah. Auch das zeigte der Potsdamer Platz, auf groteske Weise. Denn als der Senat sich daran machte, diesen zur Brache zurückentwickelten Stadtraum nicht allein mit Kultur, sondern mit Ingenieurskunst zu füllen, machte er sich bloß lächerlich. Erinnert sich noch jemand an die „M-Bahn“? Vom Kemperplatz bis zum Gleisdreieck, wo die Bahntrassen unter Feldblumen verschwanden, fuhr das Verkehrsmittel von morgen, die Magnetschwebebahn. Das war die frühe Berliner Version des später von Edmund Stoiber geträumten Traums der ultimativen Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen dem Münchner Hauptbahnhof und dem Franz-Josef- Strauß-Flughafen. Die West-Berliner Magnetschwebebahn fuhr nicht so schnell wie der Transrapid, aber immerhin auch auf Stelzen. Wenn sie fuhr.

Als sie fuhr, da fuhr sie einmal, im Dezember 1988, so weit, dass sie auf ihrer stelzengestützten Trasse die Wand ihres Endbahnhofs durchbrach. Die Fotos der meterweit aus dem Mauerwerk ragenden M-Bahn wirkten wie eine Karikatur der West-Berliner Daseinsweise: Fremdfinanziert, hoch-ambitioniert, nicht realitätstüchtig, immer kurz vor dem Absturz. Deshalb passte die M-Bahn so gut in die Gegend um den Potsdamer Platz. Die Zukunft und der Fortschritt hatten am Potsdamer Platz nichts zu schaffen. Sogar die Postkarten, die man hier kaufen konnte in flachen, altmodischen Hütten, waren vom Stil her „retro“, wie man heute sagen würde. „Retro“ bedeutete in den 80er Jahren: Man erinnerte postkartenmotivisch lieber an die 70er Jahre, an Ku’damm-Glamour und das Strahlen der von innen erleuchteten Egon-Eiermann- Gedächtniskirche. Der Potsdamer Platz machte einfach nichts mehr her. Zwei große, verlassene Gebäude, das Weinhaus Huth und das, was vom Hotel Esplanade noch übrig war, ragten in die Fläche und zeigten dem Rundumbetrachter auf dem Holzausguck erst, wie weit sich diese Brache dehnte. Ganz hinten, unter dem geteilten Himmel, das, was sie in der Hauptstadt der DDR unter Fortschritt verstanden – die Plattenbauten an der Wilhelmstraße. Blick nach Süden: Irgend so ein Altbau aus preußischen Zeiten, irgendeine DDR-Institution mochte sich da einquartiert haben (heute residiert darin das Abgeordnetenhaus). Runter vom Holzturm, vorbei an ein zwei Reisebussen, weg von der Potsdamer Straße, ein Gang an der Mauer entlang, Richtung Kreuzberg, Checkpoint Charlie. Mitten in der Stadt siedelte eine Rollheimertruppe in zum Eigenheim ausgebauten Bauwagen. Wasser und Strom kamen vom Senat. Durch den Matsch liefen Kinder und Hunde. Still waren die Nächte.

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