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Stadtleben: Der fliegende Autor

Stücke über Stücke, pausenlos Premieren: Horst Pillau wird heute 75

Das Aufzählen – auch das gehört zu seinem Leben: 30 Fernsehspiele, 180 „Folgen“, 35 Theaterstücke, elf Romane. Er hätte gern die Zeit, mehr Romane zu schreiben. Aber die findet er nicht. Ein neuer Roman ist wenigstens im Kopf schon fertig. Bald stehen Theaterpremieren an, „ich hätte Stoff für noch 20 Jahre Leben“, sagt Horst Pillau. Einer der viel beschäftigten Fernseh- und Bühnenautoren, der als Berliner Urgestein gilt, wird am heutigen Sonnabend 75 Jahre alt – und 60 Jahre davon schreibt er Stücke.

Sein neues Werk „Nie wieder arbeiten“ wird bald in Hamburg aufgeführt, mit einem Polizisten und einem Lehrer in den Hauptrollen. Beide sind beruflich ausgebrannt, lassen sich frühpensionieren, halten die Langeweile nicht mehr aus und werden Tanzlehrer. Vom Glück der Arbeit also handelt die Komödie, für Pillau liegen die Themen ständig auf der Straße, die Arbeit hört nicht auf.

Seine Wohnung in der Nähe des Bayerischen Platzes, dieses „hinreißenden Kiezes“, liegt im Hochparterre. Ständig kommen Passanten am Fenster vorbei, ganz nah sind die Schritte zu hören. „Das Fenster zum Flur“ hieß sein erstes Theaterstück, das er gemeinsam mit Curth Flatow verfasste. Horst Pillau und seine Frau leben auch auf dem Land, fünf Tage die Woche, hier findet der Autor die Ruhe zum Schreiben. In dem einsamen Dörfchen in Brandenburg kommt nur alle zwei Stunden ein Mensch am Haus vorbei. Deshalb ist Berlin so wichtig.

Vom Landidyll sind es nur vier Kilometer bis zu einem Flugplatz. Pillau ist ein begeisterter Flieger. Zum einen, weil ihn bei der Berlin-Blockade nach dem Krieg die Rosinenbomber faszinierten, „ohne die wir verhungert oder kommunistisch geworden wären“. Zum anderen, weil er sich als „Schreibtischmaulheld“ praktisch betätigen muss und weil ihn Motoren, Aerodynamik, englischer Sprechfunk und Navigation begeistern. Angst habe er wie jeder Pilot nur vor der jährlichen Fliegerarzt-Untersuchung. Alles bestens, Fliegen bleibt sein Hobby und um fit zu bleiben, joggt er im Stadtpark Schöneberg. Aufhören? Pillau kennt einen fast 90-jährigen aktiven Kunstflugpiloten aus Wien. Wien? Das ist tatsächlich sein Geburtsort. „Wien gilt nicht“, sagt Pillau. Der Vater war Ostpreuße, die Mutter Wienerin, die Familie zog nach Berlin, als der Junge zwei Jahre alt war. Sie wohnten im Bayerischen Viertel, wurden ausgebombt. Die Kindheit im Viertel will er im Roman verarbeiten, der nur noch geschrieben werden muss. Pillau kam nie aus dieser Berliner Ecke heraus, nach dem Krieg war’s nicht weit zum Rias an der Kufsteiner Straße, wo er erst Jugendkabarett mit Hans Rosenthal produzierte, später beispielsweise auch die Kabarettsendung „Die Rückblende“.

Einer seiner alten Freunde ist noch Curth Flatow, „doch vieles bricht weg“. Brigitte Mira, Günter Pfitzmann, Harald Juhnke,Wolfgang Gruner – sie alle gehörten dazu, spielten in seinen Stücken, vermittelten die Heiterkeit und das „Einverständnis mit dem Publikum“, das Pillau erreichen will. So wie in seinen Werken möge die Welt sein, sagt er. Immer ein Stück Komödie. Eine Tragödie wollte Pillau auch mal schreiben, doch fielen ihm so viele heitere Aspekte ein, dass am Schluss wieder eine Komödie entstand.

Gerade wurde in Halle wieder – vor viel jungem Publikum – das legendäre „Fenster zum Flur“ aufgeführt, über mehr als 10 000 Mal war es schon auf der Bühne zu sehen, 1960 machte es Inge Meysel zur „Mutter der Nation“. Kult waren vor Jahrzehnten auch schon die Fernsehserie „Salto Mortale“oder der Preußenkorso, der Kaiser vom Alexanderplatz, und, und, und. Der Name des Autors ist über Generationen so geläufig, dass ihn ein Taxifahrer kürzlich fragte, ob er denn der „Nachfahre“ des berühmten Bühnenautors sei.

Die Ideen, sagt Pillau, sprudeln aus drei Quellen: Selbst- oder fast Selbsterlebtes, Zeitungslektüre und Fantasie. Er könne nur schreiben, wovon er was verstehe. Dazu gehört das Leben in Berlin. „Die Stadt ist für mich lebenswichtig, wild, chaotisch, dreckig. Sie ist das Größte neben New York und London.“ Dort aber gebe es eine Straße voller Boulevardbühnen. Dass die Heimstätte vieler seiner Stücke, die Kurfürstendamm- Theater, bedroht sind, ist für Pillau tragisch. Er wolle auch in Berlin weitergespielt werden. Sollten die Bühnen abgerissen werden, „bricht ein Teil meiner Existenz weg“. Der Senat habe den Denkmalschutz verspielt und „unaufrichtig“ gehandelt. Wenn Pillau schimpft, ist er schnell beim Flughafen Tempelhof, der stillgelegt werden soll. Berlins Infrastruktur werde irreparabel geschädigt. „Das wird sich furchtbar rächen.“

Einen Komödienstoff gibt das Thema nicht her.Christian van Lessen

„Horst Pillau zum 75.“ heißt eine Benefiz-Matinee zugunsten des Vereins „Kinder in Gefahr“, unter anderem mit Edith Hancke, Brigitte Grothum, Wolfgang Spier und Friedrich Schoenfelder am 9. September um 11 Uhr im Theater am Kurfürstendamm, Karten (11,50 Euro) unter der Telefonnummer 030/313 7007.

Christian van Lessen

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