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Stadtleben: Dichten statt malen

Walter Leistikows Roman „Auf der Schwelle“ von 1896 ist wieder erschienen

Endlich wieder in Berlin. „Der alte Zauber, den die Großstadt jedesmal auf ihn ausübte, er wurde wieder wirksam, er konnte sich ihm nicht entziehen. Wie etwas Verheißungsvolles, Versprechendes lag es vor ihm, wie das Geheimnis, das Mysterium des Lebens.“ Mit solch einer Liebeserklärung an Berlin schließt eine literarische Rarität, die weitgehend vergessen ist, doch nun, zum 100. Todestag ihres Autors, als Reprint wiederaufgelegt wurde: „Auf der Schwelle“ von Walter Leistikow. Ein Entwicklungs- und ein Künstlerroman, auch wenn die Hauptfigur Hans nicht wie ihr Schöpfer mit dem Pinsel gestaltet, sondern mit Worten – ein Schriftsteller, der sein Lebensziel erst durch den Irrweg der Fotografenlehre finden muss, der auch mancherlei Anfechtungen emotionaler Natur zu bestehen hat, hin und her gerissen zwischen Freundschaft und Liebe zu den Frauen.

Man kann das 1896 in Berlin erstveröffentlichte Werk, das nicht wirklich an Leistikows wahrer Berufung als Maler zweifeln lässt, auch autobiografisch deuten, genügend Parallelen sind vorhanden. Wie sein Dichter Hans hatte auch Leistikow in Berlin sein Glück gesucht, ein aus der Posener Provinz in die Reichshauptstadt gereister Kunstjünger, der anfangs mit den hiesigen Herausforderungen nicht gut zurecht kam, es zunächst in der Hochschule der bildenden Künste mit einer Ausbildung versuchte, dort aber bald wegen angeblichen Talentmangels entlassen wurde. Viele der Erfahrungen der Malers und des Schriftstellers dürften sich decken, auch nimmt das Büchlein durch seine präzisen Beschreibungen der Berliner Szenerien und des Lebens in den künstlerischen Kreisen der Metropole ein, was mit dem mitunter naiv-romantisierenden Tonfall wieder versöhnt. Von dem für Berlin so schmeichelhaften Schluss ganz zu schweigen: Nach all den Mühsalen des Künstler- und Privatlebens bietet die Stadt zuletzt doch zuverlässig Trost.

Herausgebracht wurde der Nachdruck jetzt von einem Verlag, der sich sonst vorrangig mit dem Arzneimittelwesen beschäftigt. Allerdings befinden sich die Verlagsräume in einem denkmalgeschützten Wassertum auf dem Friedhof Bergstraße in Steglitz, in zumindest räumlicher Nähe zu dem schreibenden Maler: Leistikows Grab liegt nur knapp 100 Meter entfernt.

— Walter Leistikow: Auf der Schwelle. AVI Arzneimittel Verlags GmbH, Berlin. 268 Seiten, 12,50 Euro

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