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Grundentspannt. Dieter Nuhr denkt viel über die Welt nach. Der 49-Jährige gewann mehrfach den Deutschen Comedypreis, außerdem wurde er mit dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnet.

© Doris Spiekermann-Klaas

Dieter Nuhr: „Ich gerate nicht in Schlägereien“

Am Wochenende will Comedian Dieter Nuhr zwei Mal hintereinander das Tempodrom füllen. Hier erklärt er, wie er stets die Ruhe bewahrt – und warum er niemals Thilo Sarrazin sein könnte.

Herr Nuhr, Sie kommen etwas zu spät. Liegt das an Ihrer inneren Ruhe?

Moment, drei Minuten, das gilt noch nicht! Nein, das spricht doch eigentlich eher gegen die Ruhe, denn im Moment habe ich ziemlich viele Termine. Insofern hält sich die Ruhe privat in Grenzen.

Was ist denn Ruhe für Sie?

Was ich in meinem Programm „Nuhr die Ruhe“ meine, ist eigentlich besser mit Entspanntheit beschrieben. Wir Deutschen neigen eher zur Verspanntheit, zum Dramatisieren. Ich komme da oft nicht mehr mit, weil ich seit 30 Jahren mit dramatischen Aussichten durch die Welt gegangen bin. Man hat mir immer versprochen: Jetzt geht die Welt unter. Waldsterben, Ozonloch, Schweinegrippe. Nach ein paar Jahren haben sich die Themen verändert und die Welt ging aus neuen Gründen unter.

Das Thema arbeiten Sie jetzt seit fast einem Jahr intensiv in ihrem Programm auf. Sie haben jetzt 14 Mal in den Wühlmäusen gespielt, Freitag und Samstag kommen noch zwei Termine im Tempodrom hinzu. Was machen Sie privat zur Entspannung?

Eigentlich habe ich einen ganz entspannten Grundzustand. Ich verbringe meine Zeit nicht mit Meditation. Im Gegenteil: Einfach sitzen im Kosmos ist mir dann doch zu wenig. Das regt mich eher auf.

Dabei nennt man Sie doch den „Philosophen“ unter den Komikern.
Das Philosophieren ist Naturzustand bei mir. Weil wir in den Siebzigern gedacht haben: Die Welt braucht uns, wir retten die jetzt! Wir pflanzen Salätchen im Vorgarten und dann wird alles gut. Aus dieser naiven Haltung heraus hat es sich wahrscheinlich bei mir festgesetzt, dass ich dazu neige, über die Welt nachzudenken.

Dafür haben Sie dann 2008 den Deutschen IQ-Preis bekommen. Setzt Sie das unter Druck?
Nein, gewisse Dinge erwarte ich ja von mir selber. Zum Beispiel, dass ich kein blödes Programm mache über alles, was in der Hose stattfindet. Ich lege sehr viel Wert darauf, dass die Fakten stimmen. Über die Auszeichnung habe ich mich natürlich sehr gefreut – wer ist schon gerne blöd? Obwohl blöd sein ja nachweislich zu höheren Glücksgefühlen führt. Insofern ist es eigentlich ja blöd, nicht blöd zu sein.

Das heißt auch: viel Recherche.
Ja. Ich glaube nicht, dass es leicht wäre, mir Fehler nachzuweisen. Ich hatte zum Beispiel im letzten Programm ungefähr eine Viertelstunde über den Koran – und ich habe keine Drohung bekommen deswegen. Weil einfach stimmte, was ich sagte, weil alle Zitate richtig waren und weil es nicht in falsche Zusammenhänge gestellt war. Wenn man eine Diskussion führen will wie zum Beispiel Thilo Sarrazin, dann ist es dumm, sich auf überholte Forschungsergebnisse zu stützen. Dann denke ich: Wie blöd kann einer sein, dass er versucht, eine wichtige Diskussion mit so vielen Angriffsstellen auf so eine große Bühne zu stellen? Ich habe auch polarisierende Thesen im Programm, aber die sind so abgesichert, dass mir keiner sagen kann, ich bin böswillig, ich bin falsch informiert, ich bin doof.
Als großer Polarisierer sind Sie eigentlich nicht bekannt.
Deswegen gerate ich zum Beispiel auch nicht in Schlägereien – was ich sehr angenehm finde. Ich weiß auch nicht, wo der Sinn des Polarisierens liegt. Man sieht doch bei Sarrazin, dass vernünftige Diskussionen dadurch eher abgewürgt werden. Das ist ein Grundfehler des Kabaretts gewesen: Zu glauben, man könne durch Aggression beim Publikum etwas erreichen. Das hat nur funktioniert, weil man sich mit dem Publikum einig war: Die da draußen sind gemeint.

Sie machen aber doch auch Kabarett – gemischt mit Comedy.
Eigentlich ist es viel mehr Kabarett, weil es ja immer mit Dingen zu tun hat, die mich bewegen. Auf der anderen Seite ist es Comedy, weil es lustig ist. Mich interessiert dieser Gegensatz aber eigentlich auch überhaupt nicht. Ich glaube, dass gute Sachen, die lustig sind, auch immer etwas zu sagen haben.

Intelligenz, Witz, Erfolg: Haben Sie nicht manchmal Angst abzuheben?
Es gibt die Gefahr, es als selbstverständlich zu erachten, dass alles funktioniert. Aber ich bin ja Beamtenkind und ich neige nicht zum Durchdrehen. Was soll ich auch tun? Mir grüne Haare machen lassen? Das ist auch eine Mentalitätsfrage. Viele werden ja aus so einem exaltierten Bedürfnis heraus Künstler. Aber mir ist das eher passiert.

Ein Beamtenkind, das zunächst Lehrer wurde – haben Sie den Drang, den Menschen die Welt zu erklären?
Ich habe nur das erste Staatsexamen gemacht und den Beruf nie ausgeübt. Ich glaube, dass 99 Prozent der Leute Lehrer werden, weil sie nach der Schule die Welt als unübersichtlich und bedrohlich empfinden und sagen: Ich will zurück in meine Anstalt. Bei mir war das genauso.

Es ist Ihnen aber schon wichtig, dass Ihr Publikum etwas lernt?
Einen pädagogischen Ansatz habe ich nicht. Es ist eher so, dass ich etwas sagen möchte, ob das ankommt, interessiert mich erheblich weniger. Ich glaube nicht, dass man mit einem Kabarettabend die Leute verändern kann. Es gibt bei mir, glaube ich, viele Momente, in denen die Menschen irritiert sind – das ist schon das Äußerste, was man erreichen kann. Sozusagen mein Programm als soziale Plastik. Beuys ohne Filz.

Ihr ruhiges Erzählen haben Sie doch sicher im Didaktikkurs an der Uni gelernt?
Nein, ein Theaterbetreiber hat mal gesagt, ich brauche einfach nur zu erzählen. Ich habe gedacht, der hat sie nicht mehr alle. Diese Form, auf eine Bühne zu gehen, und das zu sagen, was einem eingefallen ist, ohne irgendwelche Mützchen anzuziehen oder Verrenkungen zu machen, das war Anfang der neunziger Jahre ja neu. Es gab Kabarettisten, aber das war immer mit so einer ideologisch-pastoralen Haltung verbunden. Einfach rauszugehen und Geschichten zu erzählen, das war sehr ungewöhnlich. Dass es funktioniert, überrascht niemanden mehr als mich.

Das Gespräch führte Anke Myrrhe. Dieter Nuhr spielt sein Programm „Nuhr die Ruhe“ am Freitag, 24., und am Samstag, 25. September im Tempodrom, Möckernstr. 10, Kreuzberg. Einlass 19 Uhr, Beginn 20 Uhr, Karten zwischen 27 und 34 Euro

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